Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
halte. Sie gehen jetzt zum Tisch der Anklage zurück und bleiben gefälligst sitzen.«
Er schaltete den Ventilator aus und rollte mit seinem Stuhl in die Mitte der Richterbank zurück. Freeman und ich kehrten an unsere Plätze zurück.
»Wie ich Ihnen gesagt habe, bevor ich unterbrochen wurde, gibt es in diesem Fall ein großes Bild, und das wird Ihnen die Verteidigung präsentieren. Die Anklage würde Sie gern glauben machen, dass es sich hier um einen simplen Racheakt handelt. Doch ein Mord ist nie simpel, und wenn man bei einem Ermittlungsverfahren oder einer Anklageerhebung nach Abkürzungen sucht, übersieht man zwangsläufig vieles. Unter anderem auch einen Mörder. Lisa Trammel hat Mitchell Bondurant nicht einmal gekannt. Sie ist ihm nie zuvor begegnet. Sie hatte kein Motiv, ihn zu töten, weil das Motiv, das Ihnen die Anklage nennen wird, falsch ist. Sie wird die Sache so darstellen, dass die Angeklagte Mitchell Bondurant getötet hat, weil er ihr ihr Haus wegnehmen wollte. Tatsache ist jedoch, dass er das Haus gar nicht bekommen hätte, und das werden wir beweisen. Mit dem Motiv verhält es sich wie mit dem Steuerruder eines Boots. Entfernt man es, ist das Boot jeder Laune des Winds ausgeliefert. Und genau das sind die Argumente der Anklage. Eine Menge Wind.«
Ich schob die Hände in die Hosentaschen und blickte auf meine Füße hinab. Ich zählte im Kopf bis drei, und als ich wieder aufblickte, sah ich Furlong direkt an.
»Worum es in diesem Fall wirklich geht, ist Geld. Es geht um die Zwangsversteigerungsepidemie, die unser Land heimsucht. Das war kein simpler Racheakt. Das war ein eiskalter, berechnender Mord an einem Mann, der die korrupten Praktiken unserer Banken und ihrer Zwangsversteigerungsvollstrecker aufzudecken drohte. Hier geht es um Geld und um diejenigen, die es haben und sich um keinen Preis von ihm trennen wollen – auch nicht um den eines Mordes.«
Ich machte wieder eine Pause, verlagerte mein Gewicht auf den anderen Fuß und ließ den Blick über die Jury streifen. Er fiel auf eine Geschworene namens Esther Marks und blieb auf ihr ruhen. Ich wusste, sie war eine alleinerziehende Mutter, die in der Bekleidungsindustrie als Büroleiterin arbeitete. Wahrscheinlich verdiente sie weniger als die Männer, die den gleichen Job machten, und ich hatte sie mir als jemanden vorgemerkt, der Verständnis für meine Mandantin aufbringen würde.
»Lisa Trammel wurde ein Mord angehängt, den sie nicht begangen hat. Sie soll als Sündenbock herhalten. Sie soll das Ganze ausbaden. Sie hat sich gegen die drastischen und betrügerischen Zwangsvollstreckungspraktiken der Bank aufgelehnt. Sie hat sich mit ihr angelegt, und deshalb wurde ihr per einstweiliger Verfügung untersagt, sich der Bank zu nähern. Genau die Dinge, die sie für träge Ermittler zur Verdächtigen gemacht haben, haben sie auch zum perfekten Sündenbock gemacht. Und das werden wir Ihnen beweisen.«
Aller Augen waren auf mich gerichtet. Ich hatte mich ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit versichert.
»Die Beweise der Anklage werden einer genaueren Überprüfung nicht standhalten«, fuhr ich fort. »Wir werden sie Stück für Stück zerpflücken. Die Messlatte, die Sie bei Ihrer Entscheidung anzulegen verpflichtet sind, ist eine über jeden berechtigten Zweifel erhabene Schuld. Ich bitte Sie dringend, genau hinzuhören und sich Ihre eigene Meinung zu bilden. Tun Sie das, garantiere ich Ihnen jetzt schon, dass Ihnen mehr berechtigte Zweifel kommen werden, als Sie sich vorstellen können. Und Sie werden sich mit nur einer einzigen Frage auseinandersetzen müssen. Warum? Warum wurde diese Frau dieser Tat angeklagt? Warum wurde ihr das alles zugemutet?«
Eine letzte Pause, dann nickte ich und dankte den Geschworenen für ihre Aufmerksamkeit. Ich kehrte rasch an meinen Platz zurück und setzte mich. Lisa legte mir die Hand auf den Arm, als wollte sie mir danken, dass ich für sie eintrat. Es war eine unserer einstudierten Gesten. Ich wusste, es war nur Show, aber trotzdem fühlte es sich gut an.
Der Richter setzte eine fünfzehnminütige Pause an, nach der die Befragung der Zeugen beginnen sollte. Als sich der Saal leerte, blieb ich an meinem Platz am Tisch der Verteidigung sitzen. Mein Eröffnungsplädoyer hatte meine Zuversicht gestärkt. Selbst wenn in den nächsten Tagen die Anklage das Sagen hätte, war Freeman jetzt gewarnt, dass ich ihr ordentlich zusetzen würde.
»Danke, Mickey«, sagte Lisa Trammel und stand auf, um mit Herb
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