Microsklaven
abscheuliche Wort in den Mund nimmt, eine Tracht Prügel zu verabreichen. Wir können's nicht mehr hören!
W enn man vom Flughafen aus über den Berg fährt, kommt man am wohl häßlichsten Ortsschild der Welt vorbei: SOUTH SAN FRANCISCO, THE INDUSTRIAL CITY steht da in riesigen weißen Lettern am Berghang. Da tut einem wirklich das Hirn leid, das mit einer schönen Gebirgslandschaft so umgeht, als wäre sie ein Button auf einer Fachmesse. »Wenn sie es in POSTINDUSTRIAL City umändern würden, ergäbe es vielleicht noch einen Sinn«, sagte Karla.
W ie auch immer, die Bar konnten wir nicht finden, und so landeten wir in einem Cafe irgendwo im Mission District. San Francisco ist ein merkwürdiges Mosaik der Hipness: Die Anwälte zum Beispiel sind tätowiert und hören die erste Germs-Platte. Alle hier sind so jung - genau wie bei Microsoft, eine ganze Welt, die sich nur aus Menschen unseres Alters zusammensetzt. Daher gibt es dort Kneipen, Hipster-Cafes und billige Eßlokale im Überfluß. Eine große Stadt, die wirkt wie ein einziges Viertel: eine städtische Ausdrucksform der Local Area Networks.
Und ich muß zugeben, ich bin schwer beeindruckt, wie techiemäßig hier alle drauf sind - die Leute hier wissen, wo's langgeht. Sollte ein Historiker der Zukunft einmal das Verlangen haben, ein SF-Cafe aus der Anfangszeit der Multimedia-Ära zu rekonstruieren, würde er folgendes benötigen:
• verschrammte PowerBooks voller Snowboard- und Chiquita-Bananen-Aufkleber
• eine schlechte Stereoanlage von Anfang der 80er (die alte Anlage des Wirts, der sich eine neue angeschafft hat)
• nicht zusammenpassende Möbel vom Sperrmüll
• schlechte Ölgemälde (Vaginalsymbolik/explodierende Augen/Nägel, die durch dicke Farbschichten dringen)
• eine Kork-Pinnwand (Nachrichten auf Papier!)
• lethargische Studenten, höchstwahrscheinlich stoned
• vielfach gepiercte Körper
• ein paar seltsame Leute, die aus den 80ern übriggeblieben sind, in schwarzen Ledermänteln und mit schwarzgefärbtem Haar
• Club-Flyer
Parken in San Francisco ist ein Alptraum. Es gibt einfach keine Parkplätze. Wir haben beschlossen, das nächstemal, wenn wir hinfahren, unsere Parkplätze selber mitzubringen. Wir erfinden einfach welche, die man aufrollen und mitnehmen kann, wie die tragbaren Löcher aus Zeichentrickfilmen. Oder vielleicht eine Dose Parkplatzräumspray, mit dem man die anderen Autos aus der Welt schaffen kann. Da wird man verrückt. Einfach verrückt. Schließlich beteten wir zu Rita, der heidnischen Göttin der Parkplätze und -uhren. Wir sandten Strahlen von Parkplatz-Karma in die Berge vor uns. Und wir wurden mit einem luxuriösen, vier Meter langen Parkplatz belohnt. He, Rita, du bist ein Prachtstück!
H eute ein neues Wort gelernt: »Interiority« - das heißt sich im Kopf von jemand anderem befinden.
M ichael hat einen neuen Tick: Er sitzt auf der Terrasse am Pool und sieht zu, wie der automatische Polaris-Poolreiniger verrottete Eukalyptusblätter vom Boden des Beckens kratzt. Der Poolreiniger hoppelt durch die Gegend wie R2D2, und ich glaube, die beiden werden noch die besten Freunde.
A ch ja - wir haben da so einen Euronachbarn namens Anatole. Als er herausfand, daß er nicht der einzige Nerd im Viertel war, fing er an, uns zu besuchen. Da er früher bei Apple gearbeitet hat, macht uns seine Anwesenheit nicht so besonders viel aus. Er weiß bestens über Apple Bescheid (Klatsch ahoi!). Und er ist ein typischer Rollkragenpulloverträger - wie diese Franzosen, die bei Microsoft im Regen rauchen.
Er sagt, als John Sculley bei Clintons Rede vor dem Kongreß neben Hillary Clinton saß, sei allen klargeworden, daß Apple völlig außer Kontrolle geraten war. Ich persönlich fand es glamourös. Und dann ließ Anatole eine Bombe platzen: Bei Apple hat es nie einen Alternativplan für den Fall gegeben, daß sie den Look-&-Feel-Prozeß verlieren sollten. Sie waren vollkommen davon überzeugt, daß sie gewinnen würden. Vielleicht rettet sie ja der PowerPC. Wir warnten Anatole davor, mit Bug über den Look-&-Feel-Prozeß zu reden, aber er sagte, das habe er bereits getan, und Bug scheine das Thema zu langweilen. Bug vergißt seine Wurzeln! Was für eine ungewöhnte kalifornische Milde!
Außerdem, sagt Anatole, ist niemand einfach bei Apple, sondern man ist immer noch bei Apple. Nichts von dem, was man uns erzählt, paßt zu unserer Vorstellung von Apple als Eins-Null-Betrieb, bei dem nur göttergleiche Wesen
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