Microsklaven
weiß nicht mehr, was ich darauf sagte. Ich habe nur vage Erinnerungen - meine Arme, die den warmen Zement berühren - ein Stoppschild - der Zweig einer Sagopalme, der meine Wange streift; das besorgte Gesicht meines Vaters, der direkt über mir geradeaus schaut; die Wolken über seinem Kopf; Vögel in den Bäumen; die Arme meines Vaters unter mir, während er mich in den Lego-Garten legt, meine Mutter, die sagt: »Schatz?«, und die Stimme meines Vaters: »Alles in Ordnung, Liebes. Er braucht nur Schlaf, viel Schlaf.«
5 TrekPolitiks
MONTAG 17. Januar 1994
H eute morgen um 4:31 hat es in Los Angeles ein Erdbeben gegeben, und die Bilder davon kamen sofort per CNN ins Haus. Karla und ich blieben daheim vor dem Fernseher, und als Ethan, der aus dem Simi Valley stammt, auf der Fahrt zur Arbeit im Radio davon hörte, kam er zu uns und lief direkt durch den Rasensprenger im Vorgarten, um bei uns fernzusehen. (Die Rechnung für seinen eigenen Kabelanschluß hat er immer noch nicht bezahlt.) Es sind zwar offenbar nur bestimmte Gebiete betroffen - das San Fernando Valley, Northridge, Van Nuys und Teile von Santa Monica und Pacific Palisades -, diese dafür aber extrem schwer.
»Die Freeways!« stöhnte Ethan. »Meine geliebten Freeways -der Antelope Valley Freeway total zerfetzt, die 405 in Schutt und Asche - der Santa Monica Freeway bei La Cienega - alles kaputt.«
Wir hatten Ethan noch nie weinen sehen. Beim Anblick einer besonders arg ramponierten Autobahnbrücke erzählte er mir: »An dieser Ausfahrt habe ich meinen ersten Kuß bekommen wir saßen immer auf der Böschung und sahen zu, wie die Autos vorbeifuhren.«
Wie auch immer, es machte uns tatsächlich traurig, diese ganze fabelhafte Infrastruktur in Trümmern zu sehen wie ein verkrüppelter Riese. Wir frühstückten, blätterten im Handbuch des Highway-Baus (1975) und sahen uns im Fernsehen all die eingestürzten Bauten an.
Mom machte uns heiße Schokolade, bevor sie in die Bibliothek ging, und setzte uns dann auf dem Weg dorthin beim Büro ab. Ethan war den ganzen Tag zu nichts mehr zu gebrauchen.
D ad hat seinen C++-Abendkurs abgebrochen, weil er dort nur mit siebzehnjährigen Kids zusammensaß, die ihn immer bloß anstarrten und nicht fassen konnten, daß er in seinem Alter noch zur Schule ging. Er mußte sich Sachen anhören wie: »Wenn er dir zu nahe kommt, schreist du einfach so laut du kannst: › Sie sind nicht mein Vater! ‹« Kinder sind so grausam. Dann werden eben wir Dad C++ beibringen.
E in Augenblick ohne Sinn und Verstand: Heute nachmittag war ich bei McDonald's am Camino Real, Nähe California Street, und dort stand so eine Lucite-Kiste mit einem Schlitz oben drin, in die man seine Visitenkarte stecken konnte. Sie war randvoll mit Visitenkarten. Wirklich randvoll. Doch das Merkwürdige war, daß ich an der Kiste keinen Hinweis darauf finden konnte, wofür die Karten gebraucht wurden. Ich nehme an, daß einen einfach ein Instinkt dazu treibt, seine Visitenkarte in jeden Schlitz zu stecken. Vielleicht gewinnt man ja... was - eine Orangensaftmaschine für die nächste Geburtstagsparty? Ich konnte die Karte einer Frau von Hewlett-Packard erkennen und die eines Typen aus Mexiko, auf der stand: »Absolvent der Stanford Graduate School of Business«. Da gibt es also Stanford-Absolventen, die ihre Karte bei McDonald's völlig ohne Sinn und Verstand in eine Kiste stecken. Manchmal verstehe ich die Menschen einfach nicht. Hat der denn in Stanford nichts gelernt?
H eute abend Geek-Party. Endlich mal Abwechslung! Ohne Geek-Partys würden wir tagein, tagaus keine anderen Gesichter sehen als UNSERE EIGENEN. Und die große Neuigkeit des Tages: Karla und ich haben ein Haus zum Einhüten gefunden - es gehört einer Frau, die ihren Job bei Apple verloren hat. Wir ziehen am Wochenende ein (jauu!). Der Umzug ist wirklich eine Erleichterung, da die Sache mit dem fehlenden Draht zwischen Karla und Mom uns alle ganz schön mitnimmt.
Die Party: Sie fand in San Francisco statt (der »Cit-fav«, wie Bug und Susan, jetzt cooler-als-wir-bloß-weil-sie-dort-woh-nen, es nennen), im Noe Valley bei Anatoles Freunden Ann und Jorge. Jorge arbeitet bei Sun Microsystems und Ann bei 3DO. Es gab GROSSE Mengen leckeres, versnobtes San-Francisco-Essen, tolle Spirituosen, Branchenklatsch und überall in der Wohnung Fernseher, auf denen die Erdbebenkatastrophe lief. Wir Oop! ster, die wir alle pleite sind, haben Säcke voll Geld gespart, indem wir den ganzen Tag nichts gegessen
Weitere Kostenlose Bücher