Microsoft Word - Christian Jacq - RAMSES3 - Die Schlacht von Kadesch.rtf
Vaters gehuldigt werden, hier würden seine Mutter und seine Gemahlin gefeiert werden, hier würde die bleibende Kraft verliehen werden, ohne die eine gerechte Ausübung von Macht nicht möglich war.
Nebou, der Oberpriester von Karnak, trug stets ein Lächeln zur Schau, obwohl er alt, erschöpft und schmerzgeplagt war. Aber es war ihm nun einmal die Aufgabe übertragen worden, das größte und reichste Heiligtum Ägyptens zu verwalten, wenn man auch allgemein überzeugt war, Ramses habe diese Entscheidung aus Hohn und nur der Form halber getroffen. Der greise Nebou konnte doch nur ein Strohmann sein, und bald käme schon der nächste, ebenso alt und dem Herrscher untenan.
Daß Nebou altern würde wie Granit, das hätte niemand geglaubt. Der kahlköpfige, wortkarge Priester, dem das Gehen schwerfiel, waltete uneingeschränkt seines Amtes.
Er war seinem König treu und dachte nicht daran, wie so manch einer seiner Vorgänger, irgendwelche Umtriebe mitzumachen. Ramses zu dienen war sein Quell der Lebensfreude.
Aber heute vergaß Nebou seinen gewaltigen Tempel, seine Untergebenen, seinen Rang, seine Ländereien, seine Dörfer… er beugte sich über eine kleine Akazie, die Ramses in seinem zweiten Regierungsjahr hier, wo sein Tempel für die Ewigkeit stehen sollte, gepflanzt hatte. Der Oberpriester von Karnak hatte dem Herrscher versprochen, über das Wachstum dieses Bäumchens zu wachen. Es wuchs mit erstaunlicher Kraft! Die Magie dieses Ortes ließ es viel schneller gen Himmel steigen als alle anderen Bäume.
«Bist du zufrieden mit meiner Akazie, Nebou?»
Schwerfällig wandte der Oberpriester sich um.
«Majestät!… Ich wußte gar nicht, daß du kommen würdest!»
«Niemand verdient einen Tadel, meine Reise war unangekündigt. Dieser Baum ist großartig.»
«Ich glaube, ich habe noch nie ein so erstaunliches Wachstum erlebt. Hast du ihm vielleicht deine Kraft verliehen? Ich werde seine Kindheit behütet haben, du wirst ihn betrachten können, wenn er ausgewachsen ist.»
«Ich mußte Theben noch einmal sehen, meinen Tempel für die Ewigkeit, meine Grabstätte und diese Akazie… bevor ich mich in all diese Wirren begebe.»
«Ist der Krieg unvermeidlich, Majestät?»
«Die Hethiter versuchen uns vom Gegenteil zu überzeugen, aber wie könnte man ihren beruhigenden Worten Glauben schenken?»
«Hier ist alles in Ordnung. Die Reichtümer von Karnak gehören dir, und die Gebiete, die du mir anvertraut hast, sind zu Wohlstand gelangt.»
«Und wie steht es um deine Gesundheit?»
«Solange die Herzkanäle nicht verstopft sind, werde ich mein Amt ausüben. Sollte Majestät jedoch beabsichtigen, einen anderen an meine Stelle zu setzen, wäre ich’s auch zufrieden. Am geheiligten See zu wohnen und über den Schwalbenflug nachzusinnen würde mich überglücklich machen.»
«Da muß ich dich enttäuschen: ich sehe keinerlei Notwendigkeit, die augenblickliche Rangordnung zu ändern.»
«Meine Beine lassen mich im Stich, meine Ohren werden taub, meine Knochen schmerzen…»
«Aber dein Denken ist noch immer so lebhaft wie der Flügelschlag des Falken und so genau wie der des Ibis. Mach weiter so, Nebou, und wache auch weiterhin über diese Akazie. Sollte ich nicht zurückkehren, bist du ihr Vormund.»
«Du wirst zurückkehren. Du mußt zurückkehren.»
Ramses besichtigte die Baustelle und entsann sich seines Aufenthaltes unter den Steinhauern und Steinbrucharbeitern. Tag um Tag erbaute er Ägypten, die Männer hier erbauten die Tempel und Wohnstätten für die Ewigkeit, ohne die die Beiden Länder in Unordnung und Niedertracht versunken wären, weil solches in der menschlichen Natur angelegt war. Der Macht des Lichts zu huldigen und das Gesetz der Maat zu achten, das bedeutete, Rechtschaffenheit zu lehren und zu versuchen, den Menschen abzubringen von Ichsucht und Hochmut.
Der Traum des Monarchen wurde allmählich Wirklichkeit. Sein Tempel für die Ewigkeit nahm Gestalt an und begann jetzt schon jene magische Kraft auszuströmen, die nie versiegen würde, denn in die Mauern des Heiligtums waren Schriftzeichen und bildliche Darstellungen bereits eingemeißelt. Ramses schritt durch die Säle mit dem genau festgelegten Grundriß, suchte innere Sammlung in den zukünftigen Kapellen und schöpfte neue Kraft aus dem durch die Vermählung von Himmel und Erde entstandenen Ka. Diese machte er sich zu eigen, nicht um seiner selbst willen, sondern um fähig zu sein, den finsteren Mächten Trotz zu bieten, mit denen die
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