Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
bis unten mit feinsten Tropfen seines Blutes bespritzt bin.
»Es geht nicht«, bringt er hervor. »Es hängt. Ich krieg's nicht mehr runter...«
Sein Körper verkrampft sich, verbiegt sich, windet sich in widernatürlichen Verrenkungen. Ich höre knackende,
knirschende Geräusche, sehe Leo mehr schreien als dass ich ihn noch höre und begreife, dass es seine Knochen sind, die da brechen in ihm. Die Kraftverstärker drehen durch, zerfetzen ihn von innen heraus. Inzwischen quillt auch aus seinen Augen Blut, aus seinen Ohren, aus der bloßen Haut an seinem Hals.
Man kann die Adern pulsieren sehen, zu dicken Strängen von unnatürlich schwarzblauer Farbe angeschwollen.
Und dann, oh mein Gott, und dann...
Erst fetzt eines der Teile heraus aus seinem Oberarm,
blutiger Stahl, voller Fleischfetzen und weißlicher,
unaussprechlicher Dinge, zerreißt sein Hemd und seine Haut und fährt ihm stahlmesserhaft schlitzend über den Brustkorb, und dann bohrt sich noch eines in die andere Richtung davon, chromblitzendes, rot verschmiertes Gestänge, wirr verbogen und abgebrochen, ein riesiges Schrapnell, ein irres
Hackmesser, das seinen Arm von innen her zerstückelt...
Ich schreie. Oder schreit er? Ich weiß es nicht mehr. Ich sehe, dass sich auch unter seiner Bauchdecke etwas wölbt und bewegt, wie in dem Film Alien, und alles in mir brüllt auf vor blankem Entsetzen.
Eines der aus seinem Leib herausschnappenden
Trümmerstücke fährt nach oben, bohrt sich in seinen Hals, und 324
da endlich bricht dieser panische Blick in Leos Augen, kommt das namenlose Grauen darin zum Verlöschen. Der Kopf kippt mit blasigem Blubbern weg. Es ist vorbei. Der Körper liegt schlaff in einer klebrigen, roten Pfütze, und die tobsüchtigen Häckselklingen, in die sich die zerrissenen Bestandteile seines wild gewordenen Systems verwandelt haben, schaben und
schlitzen noch ein wenig an ihm herum, aber wir wissen, dass es vorbei ist. Als ich aufblicke, sehe ich Juan über mir stehen.
Er hat sein Gewehr in der Hand, auf Leos Kopf gerichtet. Er hat sich nicht dazu durchringen können, dessen Martern
abzukürzen, ihn zu erschießen, ehe die Schmerzen unerträglich wurden. Seine Augen starren, als hätten sie die Hölle gesehen, und das haben sie ja auch. Dass er mit seinem Entschluss zu spät gekommen ist, wird ihn sein Leben lang verfolgen.
O'Shea hatte es vorausgesagt, bei jenem Anruf vom
Mittwoch, der ihn das Leben gekostet hatte. Er hatte mich gewarnt, dass mit den Kraftverstärkern in meinem rechten Oberschenkel etwas nicht in Ordnung war. Dass ihre
Aufhängung am Oberschenkelknochen reißen konnte.
Und genau das musste passiert sein. Ich befühlte noch
einmal mein Bein und glaubte, die Konturen der aus ihrer Verankerung gerissenen Geräte zu ertasten. Die sich jetzt frei und mit irgendwelchen scharfen Bruchkanten an einem Ende zwischen meinen Muskeln bewegten und dort wer weiß was
anrichten mochten. Ein Albtraum.
Immerhin war es nicht so verheerend wie damals bei Leo.
Mein System lief stabil, reagierte auf meine Impulse,
kommunizierte. Keine Rede von einem Systemversagen. Es
war schlicht und einfach Materialbruch.
Ich kam auf die segensreiche Idee, die Kraftverstärkung
abzuschalten, was die Schmerzen schlagartig reduzierte. Gut.
Ich schaffte es, mich auf den Rücken zu drehen, sodass ich in 325
den wolkenzerfetzten nachtschwarzen Himmel schauen und
darauf warten konnte, dass mir eine Idee kam, was außerdem zu tun war. Wobei nichts dafür sprach, dass sich eine solche Idee einstellen würde.
Ich dachte an die schätzungsweise fünf Meilen und
zweihundert Höhenfuß, die mich noch von dem Treffpunkt mit Finnan trennten. Illusorisch. Ich würde es nicht schaffen. Ich würde es nicht einmal bis zur nächsten Straße schaffen. Schon der Versuch aufzustehen fühlte sich an, als zerschlitze ein wild gewordener Mixer das Innere meines Schenkels. Und dabei
stand ich inzwischen mächtig unter Drogen.
Aber es tat gut zu liegen. Ein kühler Wind strich über mein Gesicht, und der Schenkel beruhigte sich, je länger ich ruhig dalag und mich nicht rührte. Vielleicht war es doch nicht ganz so schlimm, redete ich mir ein. Vielleicht war dies der
Moment, in dem die Sicherheitsvorkehrungen griffen, die man nach Leos Tod bei uns installiert hatte.
Vielleicht verdanke ich Leos Tod, dass ich noch lebe.
Sie errichten gerade einen zwanzig Fuß hohen Sichtschutz aus Betonplatten, als unser Bus vor dem Steel Man Hospital ankommt. Graue
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