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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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Männer in grauen Overalls, die mit Hilfe
    mehrerer Kräne dicke graue Platten durch die Gegend
    manövrieren. Ich sehe dem Treiben mit einem seltsamen
    Gefühl von Irrealität zu; es sieht aus, als werde die Berliner Mauer, die gerade gefallen ist, hier mitten in wegloser Einöde wieder aufgebaut.
    Wir werden begrüßt, von Männern in hochrangigen
    Uniformen und von Männern in weißen Kitteln. Wir
    bekommen unsere Ausweise, eine völlig überflüssige
    Maßnahme, denn jeder in diesem Bau kennt uns in- und
    auswendig und besser als wir uns selbst, und die Ausweise öffnen keinerlei Tür, insbesondere keine, die nach draußen 326
    führt. Wir sind in einem Komplex der höchsten
    Sicherheitsstufe, die es gibt. Wir sind de facto Gefangene.
    Unser Schlafsaal ist groß und luxuriös eingerichtet. Man bringt uns absichtlich nicht in separaten Zimmern unter – das entspräche nicht soldatischer Lebensart –, aber es soll uns an nichts fehlen. Außer an Fernsehnachrichten. Außer an
    Zeitungen. Außer an Briefen und Abenden in der Stadt und an Sex und an jedwedem Kontakt zur Außenwelt.
    Aber all das brauchen wir bis auf weiteres auch nicht mehr.
    Die Außenwelt ist ab sofort uninteressant. In den nächsten Wochen und Monaten geht es um unsere Innenwelt, und das
    wird uns derart beschäftigen, dass wir die Außenwelt komplett vergessen.
    Dem Schafsbock wurde es offenbar langweilig. Er stakste
    ein paar Schritte davon, zutzelte ein wenig im Gras und
    entschwand schließlich aus meinem Gesichtsfeld. Ich war
    schon zufrieden, daliegen und mir einbilden zu können, die Schmerzen würden nachlassen. Sie ließen nach, doch. Die
    Kraftverstärkung abzuschalten hatte geholfen. Noch eine
    Weile, und es würde mir wieder möglich sein, aufzustehen. In ungefähr fünfhundert Jahren.
    Ich starrte in das wattige Schwarz des Himmels und
    überdachte meine Optionen. Wenn ich hier liegen blieb bis zum Morgen, würde man mich finden? Ich wusste es nicht. Ich hatte keine Ahnung, ob die Anwesenheit von Schafen auf
    dieser Wiese bedeutete, dass einmal am Tag jemand kam, um nach ihnen zu schauen, oder ob man die Tiere sich wochenlang selber überließ. Es gab so vieles, was ich nicht wusste über dieses Land, in dem ich ein Viertel meines Lebens verbracht hatte.
    Ich zögerte es so lange wie möglich hinaus, ein weiteres Mal nach meinem Bein zu tasten, wohl weil ich ahnte, wie
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    illusorisch all meine Zuversicht war. Der Oberschenkel fühlte sich nicht mehr an wie ein Oberschenkel, sondern wie ein mit Hosenstoff überzogener Baumstumpf, hart, holzig, von bizarrer Form. Es genügte, dass ich mit der Hand darüber fuhr, um die Sedierungspumpe auf Höchstleistung zu jagen.
    Ich versuchte trotzdem, mich auf die Seite zu wälzen. Eine schlechte Idee, denn ein jäher Schmerz ließ mich in Ohnmacht fallen, für Augenblicke oder Stunden, ich weiß es nicht.
    Ich glaube, es war Gabriel, der bei Jordans Anblick würgen musste. Ich konnte ihn irgendwie leiden, auch wenn ich ihm das nie gesagt habe. Er hatte so etwas... ich weiß nicht. Etwas von einem verkannten Künstler, könnte man sagen, aber das trifft es auch nicht ganz. Er war sensibel, kein solcher Hackklotz wie Vernon etwa oder jeder andere von uns. Wenn man darüber hinwegsah, dass er am liebsten in seinem tagelang angesammelten Unrat lag, konnte man wirklich tiefschürfende Gespräche mit ihm fuhren. Er machte sich jedenfalls seine eigenen Gedanken, das merkte man.
    Es waren die Messgeräte über unseren Betten, die
    bemerkten, dass sein Fieber ungesund anstieg. Es ist mitten in der Nacht, als im Schlafsaal das Licht angeht und eine Kohorte Ärzte und Pfleger hereinstürmt, auf Jordans Bett zu. Sie messen seine Temperatur, funzeln ihm in die Augen,
    beratschlagen auf Lateinisch und bringen ihn dann fort.
    »Schlafen Sie!«, herrscht mich einer an, als ich mich anbiete, Jordan zu begleiten. »Sie haben morgen eine Operation.«
    Ich hörte die Schafe sich bewegen, spürte, dass sie unruhig waren. Ich habe diese Tiere vom ersten Moment an gemocht, mit ihren schwarzen Gesichtern und dem ernsten, ewig
    verwunderten Ausdruck ihrer Augen. Sie sind mir auf all
    meinen Spaziergängen begegnet, oft frei über Wege und
    Grasland stolzierend, weil man hier in Irland nicht viel Mühe 328
    verwendet auf Zäune oder Tore. Etwas Würdevolles liegt in der Art dieser Schafe und in ihrem Wesen, ich kann es nicht anders sagen.
    Meine Spaziergänge. Einsame Wanderungen durch Licht,
    Schatten und Regen, die

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