Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
feuchtem Gras und Schafsdung lag. Drei Schafe, darunter der Bock von
vorhin, musterten mich mummelnd und mit mäßigem Interesse.
Ich ächzte, worauf eines der Tiere einen Schritt rückwärts ging, die anderen aber gleichmütig stehen blieben. So weit war es also gekommen mit meiner Gefährlichkeit.
Ich befühlte meinen Oberschenkel, und irgendwie war mir, als fühle sich der nicht mehr ganz so hoffnungslos an.
Jedenfalls reagierte die Sedierung kaum, als ich seine
unnatürlichen Konturen abtastete, und der Schmerz war zu ertragen. Was natürlich auch daran liegen konnte, dass der Medikamentenspiegel in meinem Blut inzwischen
Maximalwerte erreicht hatte, aber wie auch immer, die
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Vorstellung, mich dereinst wieder zurück auf meine eigenen Beine zu hieven, war nicht mehr ganz aus der Welt.
Der Schafsbock hob plötzlich den Kopf, um mit bebenden
Nüstern einen Punkt am Horizont zu beäugen. Einen allem
Anschein nach beunruhigenden Punkt.
Ich reckte mich und sah in dieselbe Richtung wie der Bock.
Und verstand, dass ihn das, was er sah, beunruhigte.
Mich beunruhigte es auch.
Mit bloßem Auge war es eine kurze Kette tanzender Lichter.
In Nachtsicht und mit eingeschalteter Vergrößerung sah man Männer, die nebeneinander gingen und von denen einige
Stabtaschenlampen schwenkten.
Das war noch nicht mal das wirklich Beunruhigende.
Wirklich beunruhigend war, dass diejenigen, die keine
Taschenlampen trugen, Gewehre mit eingeschalteter Laser-
Zielvorrichtung in Händen hielten.
Jede Wette, dass das keine irischen Bauern beim Wildern
waren.
Ich drückte mich stöhnend tiefer ins Gras. War es also so weit. Erntezeit. Schluss mit lustig. Sie hatten beschlossen, mich zu holen. Wussten sie, was mit mir los war? Nein, wussten sie nicht. Sonst hätten sie sich kaum so behutsam genähert. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie nicht einmal genau wussten, wo ich war.
So schnell es ging – was nicht besonders schnell war – zerrte ich den Tarnanzug aus der Tasche, schüttelte ihn auseinander und legte ihn behelfsmäßig über mich. Daran, ihn anzuziehen, war nicht zu denken, aber er war immer noch deutlich kühl; falls sie Infrarotgeräte dabei hatten – und das hatten sie unter Garantie –, mochte es zumindest eine Weile helfen, unentdeckt zu bleiben.
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Dann fiel mir ein, dass mir das nichts bringen würde. An Kampf war nicht im Traum zu denken. Ich hatte kaum eine
andere Wahl, als liegen zu bleiben, wo ich war, und
abzuwarten, bis sie mit einer Bahre und Handschellen kamen.
Oder was immer sie als ausreichend berechnet hatten, um einen Cyborg zu fesseln.
Sie waren stehen geblieben, schienen auf Befehle zu warten.
Ich hörte Motorengeräusche, weit entfernt. Geländewagen. In nebliger Ferne glomm Licht, das aus Scheinwerfern stammen mochte. Großer Auftrieb. Na ja, was sollte es noch. Ich
stemmte mich hoch, schaffte es in eine Art sitzende Position mit ausgestrecktem rechten Bein und sah, dass die Schafe mittlerweile alle wach waren und sorgenvoll verfolgten, was sich da rund um sie abspielte.
Eine Idee kam mir. Eine blöde Idee zweifellos, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es noch viel zu verlieren gab. Ich ging die Klangdateien durch, die ich in beschaulicheren Tagen angelegt hatte, beim Belauschen der Schafe, die mir auf
meinen Sonntagsspaziergängen begegneten. Den
Beruhigungslaut hatte ich heute Nacht schon des Öfteren
erfolgreich eingesetzt, aber war da nicht noch... ?
Ja, genau. Der Panikschrei. Der Alarmlaut. Die
Aufforderung zur stampede, zum sinn- und kopflosen Davonstürmen in alle Himmelsrichtungen. Es war ein
verhaltener, für menschliche Ohren harmlos klingender Laut, den ich da ausstieß, doch die Wirkung auf die Schafe war sensationell: Wie angestochen sprangen sie auf und stürmten davon, lauthals blökend und meckernd, und es freut mich, berichten zu können, dass sie meine Verfolger völlig
überraschten. Plötzlich wurde in der Nacht vor mir geballert, was das Zeug hielt, ich sah Schafsböcke wildverwegen die Köpfe senken und zum Angriff übergehen, während Lämmer
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wehklagend wie kleine Kinder durcheinander wuselten, und in all dem herrlichen Geschrei und Geknalle versuchte ich es, stemmte mich auf meine anderthalb Beine hoch und schaffte es, und dann humpelte ich davon, den Weg zurück, den ich gekommen war, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, benommen von den Drogen in meinem Blutkreislauf, ein elendes Pochen im Oberschenkel und ein heißes, wütendes
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