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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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Schmerz explodierte in meinem Oberschenkel, ein
    Schmerz, als habe eine Harpune mit Widerhaken eingeschlagen und mit einem wilden Ruck ganze Fetzen herausgerissen. Es wirbelte mich herum, durch einen gurgelnden Schrei aus
    meiner eigenen Kehle, dann stürzte ich wie ein gefällter Baum.
    Was war das? Um Himmels willen, was war das? Ich
    erwachte aus etwas, das eine sekundenlange Bewusstlosigkeit gewesen sein muss, spürte die Sedierung pumpen, krümmte
    mich mit nassem Gesicht nach vorn zu meinem Bein, um die Wunde zu ertasten, herauszufinden, was los war. Ein Schuss?
    Wo um alles in der Welt war ein Schuss hergekommen? Ich
    hatte nichts gesehen, nichts gehört, nicht das geringste Warnzeichen ausgemacht.
    Der Oberschenkel fühlte sich heiß an und seltsam verformt.
    Aber da war keine Wunde, wieso nicht? Keuchend tastete ich über hartes, knotiges Fleisch und fand kein Einschussloch, kein 321
    Blut. Manche Stellen reagierten mit stechendem Schmerz, der schon einem gedämpften Pulsieren wich, weil die
    Medikamente zu wirken begannen, andere Stellen fühlten sich beängstigend taub an. Was war los?
    Ich hielt inne, lag einen Moment reglos, das Gesicht im
    nassen Gras, und bemerkte ein Schaf, das aufgewacht und
    aufgestanden war und neugierig heranstakste. Ein Schafsbock mit imposant gedrehten Hörnern. Aus fünf Schritt Entfernung fixierte er mich, und ich sah ihn an mit dem deutlichen Gefühl, dass mir der Blick aus diesen dunklen Knopfaugen etwas
    Wichtiges sagen wollte.
    Und dann begriff ich. Es konnte kein Schuss gefallen sein.
    Ein Schuss hätte die Schafe unweigerlich aufgeschreckt und in die Flucht geschlagen.
    Leider war das keine gute Nachricht. Das hieß nämlich, dass mir etwas passiert war, das weit schlimmer war, als es jede Schussverletzung hätte sein können.
    Ich erinnere mich. Ich habe es keinen Moment vergessen. Es ist mir nur gelungen, die Erinnerung daran zu verdrängen, in schweißnasse Nächte zuerst und Seelen zermalmende
    Albträume, und später noch weiter, noch tiefer. Den Anblick.
    Leo Seinfeld. Wie es wirklich war, das, was nachher nur noch so täuschend harmlos als Systemversagen bezeichnet wurde.
    Wir liegen auf dem Schießstand und üben den Umgang mit
    den automatischen Gewehren. Automatisch heißt, dass diese Waffen keinen Abzug haben, sondern über die bionischen
    Schnittstellen in unseren rechten Händen gesteuert werden. Wir halten sie nur in der Hand, und wir haben gelernt, die Impulse an die Schnittstelle mit unserer Augenmuskulatur zu
    synchronisieren. Auf eine schwer in Worte zu fassende Weise erlaubt uns das, einfach nur die Kulisse zu beobachten, und wenn etwas darin auftaucht, von dem wir denken, dass wir es 322
    gern über den Haufen ballern würden, genügen sozusagen
    unser Blick und unser Gedanke, um das Gewehr sich
    ausrichten und feuern zu lassen. Wir erzielen auf diese Weise Reaktionsgeschwindigkeiten, gegen die der legendärste Held des Wilden Westens ausgesehen hätte wie eine lahme
    Großmutter mit einem Vorderlader.
    Wir liegen in einer Reihe, und jede Schießscheibe, die vor uns aufspringt, zerplatzt schneller zu Fetzen, als man denken kann. Leo Seinfeld liegt auf seinem Stammplatz, ganz außen.
    Ich liege neben ihm, und ab und zu muss ich zu ihm
    hinübersehen, denn es ist sehenswert, wie er mit diesem
    automatischen Gewehr hantiert. Er ist hundert Prozent
    konzentriert. Ein nahezu ekstatisches Lächeln erleuchtet sein Gesicht. Er trainiert nicht einfach, er macht Liebe mit seiner Waffe.
    Ich mahne mich zur Konzentration, doch plötzlich merke
    ich, wie Leo sich neben mir versteift, halb aufrichtet,
    erschrocken einatmet, und das endlos lange. Als fasse seine Lunge auf einmal mehr Luft als ein Tankwagen.
    »Was ist?«, frage ich.
    Leo antwortet nicht. Er hat das Gewehr losgelassen und fasst sich an die Brust, tastet hinab zum Bauch.
    Ich setze mich auf. Hier stimmt etwas nicht. »Leo!«, rufe ich.
    »Das Herz«, keucht er. »Das Turboherz. Ich weiß nicht... es explodiert oder was...«
    Ich schreie um Hilfe. Wie durch einen Schleier bekomme ich mit, dass die anderen aufhören zu schießen, aber mein Blick ist auf Leo gerichtet, der sich mit hilflosem, entsetzlichem Ächzen in den Leib greift, vornüberbeugt, und dem plötzlich Blut aus der Nase schießt.
    323
    »Schalt das System ab!«, schreie ich. »Schalt das verdammte System ab, Leo!«
    Seine Stimme ist bereits zu einem grauenhaft schleimigen Gurgeln geworden. Nachher werde ich feststellen, dass ich von oben

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