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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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immer.
    Ich weiß nicht mehr, was ich daraufhin gesagt habe. Ich weiß nur noch, dass ich an dem Abend so lange aufbleiben durfte, wie ich wollte. Das durfte ich von da an immer; ich hatte das Gefühl, dass Dad es mochte, wenn ich abends bei ihm in
    Wohnzimmer saß. Und ich erinnere mich, dass an dem Abend die erste Folge von The Six Million Dollar Man kam und ich es angucken durfte.
    Wie gesagt, Mom war gegangen und kam nicht wieder. Es
    brauchte seine Zeit, bis ich mich damit abgefunden hatte, aber eigentlich weiß ich kaum noch, wie es mir damals erging. Über meiner Erinnerung liegt eine Art Nebel, aus der nur zwei Leuchtfeuer herausragen: die Fernsehserie um den bionisch verstärkten Mann und Erstaunen darüber, wie gut Dad kochte.
    Als ich siebzehn war, habe ich meine Mutter einmal besucht.
    Es war das erste Mal, dass ich sie wiedersah, und das letzte Mal. Und es war entsetzlich peinlich. Sie lebte in New York, arbeitete bei einer Versicherung und wirkte noch genauso unglücklich, wie ich sie in Erinnerung hatte. Das Schlimmste war, dass wir einander praktisch nichts zu sagen hatten. Wir gingen essen, in ein italienisches Restaurant, wo wir einen Tisch direkt an der Straße bekamen und Pizzen, die zu fettig und zu kalt waren, und dort brachten wir eine endlose Stunde mit belangloser Konversation zu. Wie es mir in der Schule ging. Was ich danach machen wollte. Ich überlegte mir, zu den Streitkräften zu gehen, sagte ich, worauf sie nur die
    Augenbrauen hob und meinte: »Ah.« Weiter nichts. Ihre
    Erzählungen drehten sich hauptsächlich um ihre Arbeit, die sie mir bis in ermüdende Details schilderte. Sie war klein, viel kleiner als ich sie in Erinnerung hatte, und sie hielt ihre große 319
    schwarze Handtasche ständig dicht am Körper, auch während des Essens. Als sei sie schon mindestens hundertmal
    ausgeraubt worden.
    Sie wohnte in einer Einzimmerwohnung an der Eastside, in einem hohen, alten Ziegelbau, und dort tranken wir noch einen Kaffee. Von ihrem einzigen Fenster aus sah man hauptsächlich die Brooklyn Bridge und vorbeirasselnde Subway-Züge. Ihre Kaffeetassen trugen auch das Logo einer Versicherung, aber einer anderen als der, bei der sie arbeitete. Während wir da saßen, Kaffee tranken und beim besten Willen nicht mehr
    wussten, worüber wir noch reden sollten, sagte sie plötzlich:
    »Ich wollte immer nach New York. Bei unserer Heirat hat dein Vater versprochen, dass wir eines Tages herziehen würden.
    Aber er hat nie die geringsten Anstalten dazu gemacht, nie. Es war nur eine Lüge, wie Männer eben lügen, um Frauen
    hemmzukriegen. Er hat gedacht, ich würde mir das schon aus dem Kopf schlagen. Ich musste einfach gehen, sonst wäre ich nie im Leben nach New York gekommen. Verstehst du?«
    Sie sagte das so, als hätte sie die ganze Zeit auf eine
    Gelegenheit gewartet, es loszuwerden, oder den Mut dazu
    gesucht oder was weiß ich, jedenfalls kam es so abrupt, dass ich nichts zu sagen wusste. Ich nickte nur, und das genügte ihr.
    Wenig später brachte sie mich zum Zug, und das war das letzte Mal, dass ich sie lebend gesehen habe.
    Wie war ich jetzt darauf gekommen? Mir ging eine Menge
    durch den Kopf, während ich den ansteigenden Berghang
    hochrannte. Es war fast wie Ballast abwerfen; als könnte ich dadurch, dass ich noch einmal in schmerzliche Erinnerungen eintauchte, mich ihrer endgültig entledigen oder zumindest des Schmerzes, der mit ihnen verbunden war. Ich rannte mit
    weichen, weiten Sprüngen durch die grün schimmernde Nacht, über geräuschloses Gras, übersprang Mauern und Zäune und 320
    Tore, wo es nötig war, und rannte doch eigentlich durch die Straßen von Boston, durch die Gänge meiner Schule, floh vor denen, die mir wehtun konnten, weil sie größer und stärker waren als ich, floh und schwor mit bitteren Kindertränen Rache.
    Auf manchen Wiesen nächtigten Schafe, Herden davon, in
    Gruppen aneinander geschmiegt, kleine weiße Knäuel auf dem dunklen Gras. Um sie nicht aufzuscheuchen, bremste ich
    meinen Lauf jeweils auf normalen Schritt herab und bemühte mich, leise zwischen ihnen hindurchzugehen. Etliche der Tiere wachten trotzdem auf, reckten die Hälse, musterten den
    Eindringling mit ihren spitzen schwarzen Gesichtern, doch die beruhigenden Laute, die ich ausstieß, taten meist Wirkung: Nach letzten skeptischen Blicken auf dieses Schaf auf zwei Beinen vergruben sie die Köpfe wieder in ihrer Wolle.
    Bei einem dieser Bremsmanöver passierte es. Ein jäher,
    greller

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