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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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Restlichtverstärker eingebaut und ein Infrarotsensor, alles zusammengepackt in einer Murmel, die meinem ursprünglichen Auge so täuschend ähnlich sieht, dass nicht einmal meine Mutter den Unterschied bemerken würde, lebte sie noch. Unglaublich, wenn man es bedenkt.
    Unglaublich auch, dass ich dafür mein gesundes rechtes
    Auge hergegeben habe.
    Wenn ich auf meinen Sonntagsspaziergängen Bridget
    entdecke, bleibe ich ruhig stehen und, ich gestehe es, zoome mich so nah wie möglich heran. Sie hockt dann vielleicht gerade vor einem halb umgestürzten Kahn mit abgeknicktem Mast, studiert, eine teure Spiegelreflexkamera in Händen, die Schattierungen von Rost und Schimmelpilz daran, und ich bin ihr ganz nah, ohne dass sie es bemerkt. Ich betrachte ihre schimmernde Haut und das lebendige Spiel ihrer Augen, bilde mir ein, den Duft ihres wilden Haares zu riechen... Manchmal stelle ich mir in solchen Momenten vor, dass sie zu nahe an 58
    eines der Wracks herangeht und es umkippt, und ich eile herbei und fange es mit meinen Superkräften auf, ehe es sie unter sich begräbt. Worauf sie sich mit einem weichen, warmen Kuss
    bedankt. Eine alberne Fantasie, mit der ich mir die Sonntage vergolde. Um ehrlich zu sein, meistens sehe ich sie überhaupt nicht.
    So wie heute. Ich stapfte die Böschungen entlang, ein
    einsamer Wanderer, und schlug danach noch einen weiten
    Bogen oberhalb von Dingle, wo eine Menge
    schwarzgesichtiger Schafe leben. Ich komme mit den irischen Schafen hervorragend aus; ich habe mir vor Jahren einige Zeit damit vertrieben, digitale Analysen ihrer Rufe in der
    Datenbank in meinem Bauch zu speichern, und da mein
    Kehlkopf so manipuliert wurde, dass er derartige
    Aufzeichnungen weitgehend originalgetreu wiedergeben kann, habe ich so lange herumprobiert, bis ich wusste, mit welchem Ruf ich sie beruhigen und mit welchem ich sie aufscheuchen kann. So unterhalten wir uns immer gut, die Schafe und ich.
    Als ich in die Stadt zurückkam, waren die Kirchen aus und die Straßen bevölkert. Die einen strebten nach Hause, die anderen strebten in die Pubs. Ich gehörte zu denen, die nach Hause strebten. Niemand nahm besondere Notiz von mir,
    abgesehen von dem einen oder anderen, der mir, in
    anderweitige Gespräche vertieft, flüchtig zunickte. Ich war guter Stimmung und wollte gerade, eine Melodie vor mich hin summend, die Übergänge beim Kreisverkehr überqueren, als ich ihn wieder sah, meinen Verfolger, nur eine Kopfdrehung davon entfernt, mich zu entdecken.
    Und er kam aus meiner Straße.
    59
    Unter den Menschen müssen wir unbedingt eine Auswahl treffen und uns fragen, ob sie es wert sind, dass wir ihnen einen Teil unseres Lebens widmen, oder ob ihnen wenigstens der Aufwand unserer Zeit zugute kommt. Manche Leute rechnen es uns nämlich sogar als Ehre an, wenn wir ihnen Dienste erweisen.
    Seneca, DE TRANQUILLITATE ANIMI

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    Ich staunte selber, wie gut die alten, angedrillten Reflexe noch funktionierten. Schnell wie der Blitz war ich hinter dem nächsten geparkten Auto, duckte mich und tat, als wäre ich mit meinen Schnürsenkeln beschäftigt. Dabei beobachtete ich ihn.
    Heute schien er ohne Fotografie unterwegs, mein
    unbekannter Freund. In seinem Haar hatten der atlantische Wind und sein modischer Haarfestiger miteinander gerungen, und der Haarfestiger hatte verloren. Die Hände in den Taschen einer merkwürdig geschnittenen Jacke vergraben, die aussah, als hätte ihr Designer sich von einer Lache Erbrochenem
    inspirieren lassen, stand der Mann am Straßenrand und schaute unschlüssig drein. Er schien mich nicht gesehen zu haben.
    Zumindest tat er so. Es kam kein Auto, nichts, was ihn daran gehindert hätte, zügig weiterzumarschieren in unbedenklichere Gegenden, aber nein, er stand da, wippte auf den Fersen und sah straßauf, straßab.
    Ich wurde unruhig, je länger das dauerte. Wie lange kann man schon an seinen Schuhen herumfummeln, ehe die Umwelt anfängt, das merkwürdig zu finden? Hinter mir kam eine
    hutzlige alte Frau mit zwei dicken Einkaufstüten angewackelt, bei jedem zweiten Schritt unwillig schnaubend und, so oft ich mich umsah, meinen Blick mit äußerster Missbilligung
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    erwidernd. Und der Typ stand da, als sei er entschlossen, mein Auftauchen abzuwarten.
    Die Frau kam näher und näher. Jeden Moment würde sie
    hinter mir stehen bleiben, mir lauthals Hilfe anbieten und mir womöglich haarklein erzählen, dass früher, in ihrer Jugend, Schnürsenkel noch richtige Schnürsenkel gewesen seien. Ich

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