Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
lebe, ist unscheinbar; ein hellgrauer Kasten mit ungefähr quadratischem Grundriss, spitz
zulaufendem Dach, übermauertem Windfang in der Mitte der Vorderfront und je einem trüben Fenster rechts und links davon. Von der Haustür bis zu dem rostigen schmiedeeisernen Gartentürchen reicht ein Schritt, und was sich an Vorgarten zwischen Hauswand und gemauerter Umfriedung erstreckt, ist nicht der Rede wert. Zumal man mir einen dicken Betonmast für Stromkabel und Telefonleitungen hineingepflanzt hat.
Hinter dem Haus ist eine Handspanne mehr Platz, dafür stinkt es oft unerträglich aus einem Entwässerungskanal, der sich hinter allen Häusern der Straße entlangzieht. Ich habe weder Dachboden noch Keller, nur einen Flur von Vordertür zu
Hintertür, links Wohnzimmer und Bad, rechts Küche und
Schlafzimmer, alles so eng und klein wie in einer Puppenstube.
Aber es ist mein Haus. Es gehört mir. Ich habe es von meiner Großmutter geerbt, die 198? gestorben ist, kurz nach dem Tod meiner Eltern. Da ich damals nichts damit anfangen konnte, vermietete ich es an eine ältere Frau aus dem Ort und dachte nicht weiter daran, bis sie sieben Jahre später das Zeitliche segnete, zu einem Zeitpunkt, den ich mir kaum günstiger hätte aussuchen können. Ich war gerade Frührentner geworden und hatte von einem leibhaftigen General, der vielleicht trotzdem gerade nicht genau gewusst hatte, was er tat, die offizielle Erlaubnis erhalten, mich im Ausland niederzulassen. Und so ließ ich mich in Dingle nieder, der Heimat meiner Vorfahren, 51
die wie viele andere während der großen Hungersnot ihr Glück in der Neuen Welt gesucht hatten.
Meine Rente ist nicht hoch, aber das Leben in Irland ist billig, und was brauche ich schon? Ich lasse kaum Geld in Supermärkten, teuer essen gehen – was man durchaus könnte –
fällt ebenfalls flach, Miete zahle ich keine, und wie alt oder wie schön das ist, was ich am Leib trage, interessiert auch
niemanden, mich selbst am allerwenigsten. Bei meinem Einzug habe ich die alten Möbel weggeworfen und neue gekauft, weil es sein musste, aber das war die einzige Anschaffung und ist auch schon lange her. In meinen ersten Wochen in Irland
veranlasste mich außerdem eine diffuse Paranoia dazu,
allerhand Verstecke in die Wohnung einzubauen und viel
Energie in die Installation einer Art Katzenklappe in der Hintertür zu stecken, durch die ich fliehen wollte, wenn, sagen wir, russische Agenten vor der Tür auftauchen sollten. Oder auch chinesische, meinetwegen. Aber es tauchten nie welche auf. Meine Werkzeuge habe ich noch, für die kleinen
Reparaturen, die ab und zu am Haus notwendig werden. Das meiste kann ich zum Glück selber machen, das spart so
manchen Euro.
Am meisten Geld gebe ich für Bücher aus. Im Grunde tue
ich nicht viel anderes als zu lesen und spazieren zu gehen. Ich lese viele Romane, leichte Unterhaltung meistens, Krimis und dergleichen, die ich mir zum größten Teil aus der Stadtbücherei hole, aber auf Drängen von Mrs Brannigan habe ich mich auch an Sachen berühmter irischer Schriftsteller gewagt, die irischen Fabeln von Yeats etwa, Romane von Oscar Wilde, Jonathan
Swift, John Synge oder Christopher Nolan. Bloß von Beckett und James Joyce habe ich die Finger gelassen; da reichte mir ein Blick ins Buch, um zu sehen, dass das meinen Horizont übersteigt. Anfangs gab es außerdem eine Phase, in der ich wie 52
süchtig Bücher über militärische Themen, Waffen, die
Weltkriege und so weiter gelesen habe. Ich habe mich
regelrecht dazu gezwungen, damit aufzuhören, denn man muss seine Vergangenheit einfach irgendwann ruhen lassen.
Inzwischen ist das auch schon eine ganze Weile her.
Und dann sind da seit einiger Zeit die Philosophen. Neben dem Wohnzimmerfenster steht mein eigenes Bücherregal, und obwohl ich schwören könnte, dass ich völlig unsystematisch kaufe, immer nur das, was mich gerade anspricht, sind es zum größten Teil philosophische Werke. Wohlgemerkt, ich
behaupte nicht, irgendetwas von Philosophie zu verstehen. Im Grunde verstehe ich von nichts viel, außer vielleicht vom Kämpfen und Kriegführen, weil ich das gelernt habe. Wobei ich das, was ich darüber weiß, nicht mehr brauche. Ich muss nicht mehr kämpfen, außer darum, mit meinem Leben zurande zu kommen. Und das muss, wenn man es sich genau überlegt, schließlich jeder.
Ich bin völlig naiv an die Philosophen herangegangen. Ich wusste von Philosophie nur, dass sie irgendetwas mit dem Leben und
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