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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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dafür.
    Wenn ich daran zurückdenke, habe ich vielmehr einen Moment vor Augen, der wie ein leuchtendes, in unirdischen Farben strahlendes Bild in meine Erinnerung gebrannt ist, als immer währende Gegenwart, als ein Augenblick, der niemals
    vorüberzugehen scheint.
    Es gab eine Turnhalle, die ringsum dick gepolstert war –
    Decke, Wände, Boden, alles. Wie eine riesige, dunkelblaue Gummizelle. Ich stand auf dem rot markierten Absprungpunkt und visierte, den Anweisungen des Trainers folgend, das Ziel 110
    an. Einen sechs Fuß hohen Stapel Matratzen, aufgebaut in etwa vierzig Fuß Entfernung. Es handelte sich um spezielle
    Matratzen, wie man sie in Hollywood für gefährliche Stunts verwendet. Ich solle mir keine Gedanken darüber machen, ob das überhaupt zu schaffen sei, hatte der Trainer gesagt, ich solle nur visieren und springen. Der tatsächliche Sprungverlauf würde von speziellen Kameras aufgezeichnet werden und
    wichtige Hinweise für die Feinjustierung des Systems liefern.
    Nur das war Sinn und Zweck der Übung. Angeblich.
    Ich ging also, den Blick auf das Ziel geheftet, gehorsam in die Knie, führte die Arme nach hinten, holte Luft und springe.
    In dem Augenblick, in dem ich abhebe, scheinen die Gesetze der Schwerkraft, in deren unnachgiebigem Griff ich mein
    Leben lang gelebt habe, aufgehoben zu sein. Ich springe nicht, ich fliege, werde angetrieben von einer unfassbaren Kraft, erfüllt von trunken machender Leichtigkeit. In diesem einen Augenblick scheint es, als seien mir keine Grenzen mehr
    gesetzt, als sei ich entrückt in einen Olymp von Göttern, die nicht denselben Regeln unterworfen sind wie sterbliche
    Menschen, als sei es in mein bloßes Belieben gestellt, auf dem anvisierten Ziel zu landen oder aber das Dach der Halle zu durchstoßen und die Erde zu umrunden, ach was, das
    Sonnensystem hinter mir zu lassen.
    Natürlich landete ich dann doch auf dem Matratzenstapel, und ziemlich schief dazu. Natürlich war es doch nur ein Sprung gewesen. Doch dieser erste Moment dieser eine Augenblick.
    Mir scheint manchmal, dass ich in diesem einen
    Sekundenbruchteil mein ganzes Leben dargebracht, meine
    Vergangenheit und meine Zukunft zugleich geopfert habe.
    Aber was auch immer in Wahrheit geschehen ist, ich träume davon bis auf den heutigen Tag.
    111
    Es war Zeit, heimzugehen. Es war dunkel und spät am
    Abend. Ich war müde, ausgelaugt, erschöpft. Ich wurde ins Bett fallen und hundert Stunden schlafen, das war so sicher wie die Umlaufbahn des Mondes. Trotzdem blieb ich, als ich aus dem Hotel trat, erst einmal stehen und lauschte jener einsamen Stimme in mir, die etwas anderes sagte Sie gehörte meinem romischen Philosophenfreund, Seneca. Den Mann also wollen wir preisen, der jede kleinste Spanne seines Lebens gut angewendet hat, sagt er. Zweifellos eine gute Maxime, die einem allerdings immer noch aufbürdet, zu entscheiden, was das denn ist, gut.
    Es ließ mir keine Ruhe Ich musste nach Bridget sehen. Ich sah sie vor meinem geistigen Auge in ihrer Küche sitzen, zitternd und bebend, wie ich sie zurückgelassen hatte, nur allein jetzt, über einer einsamen Tasse Tee, eine Schachtel Beruhigungstabletten neben sich. Ein dringendes Gefühl riet mir, noch bei ihr vorbeizugehen.
    Ich ging durch eine wenig belebte Upper Main Street und
    eine stille Chapel Street und gelangte zu ihrem Haus, doch das lag dunkel und reglos. Es ist ein kleines Gebäude aus weißem Holz, mit großen Fenstern, deren Vorhange sämtlich
    zugezogen waren, umgeben von einem schiefwinkligen,
    verwilderten Garten, in dem Wildblumen mit dem Unkraut um die Wette wuchern. Hinter dem Haus kommt nichts mehr, nur noch eine jener uralten, weit übermannshohen Steinmauern, die hier zu Lande die Weiden und Felder umgrenzen.
    Sie schlief also schon. Man hätte es gesehen, wenn irgendwo im Haus Licht gebrannt hätte, und wäre es nur als Widerschein an der Mauer gewesen. Gut.
    Ich wandte mich zum Gehen, als mir aus einem letzten
    Gefühl von Unbehagen heraus einfiel, doch noch einmal auf Infrarotsicht zu gehen. Dr O'Sheas Warnungen in allen Ehren, 112
    aber das war ja nur eine simple, ungefährliche Umschaltung in jenem Gerät, das ich gegen mein rechtes Auge eingetauscht habe und seither in dessen Höhle mit mir trage.
    Wie mit grauem Mehl hingepudert tauchten Fußabdrücke
    auf. Der Griff an der Haustür leuchtete regelrecht. Die Spur einer Hand am Briefkasten.
    Doch mit den Fußspuren stimmte etwas nicht. Ich kniff das linke Auge zu, um genauer

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