Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
sein?!«
»Halb drei, um genau zu sein«, drang Reillys väterlich-ölige Stimme über den Atlantik.
Ich rieb mir mit dem Handrücken die Stirn. Sie war
schweißnass. Was war bloß los? »Sie sollten schlafen, George.
Sie sind nicht mehr der Jüngste.«
»Duane«, sagte Reilly mit jenem besorgten Unterton, der mir immer die Nackenhaare aufstellt, »uns hat hier eine Nachricht erreicht, dass in Ihrem irischen Fischerkaff irgendein Wichser einen amerikanischen Touristen abgemurkst hat.«
»Was?!« Ein ungutes Gefühl kroch mir den Rücken hoch.
War es zu fassen, dass diese Nachricht sich derart schnell über den Planeten verbreitet hatte?
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Ich blinzelte mit den Augen. Jetzt hieß es wachsam sein und mir nichts anmerken lassen. »Ach ja«, sagte ich, als fiele es mir gerade wieder ein, »stimmt. Da hat gestern so was die Runde gemacht...«
»Sehen Sie? Und auf dieser Runde ist es inzwischen bis nach Washington gekommen.«
»Ich kann es kaum glauben«, sagte ich. Ich zog mir einen Küchenstuhl heran. Ich musste mich setzen. »Ich kann kaum glauben, dass Sie sich neuerdings um so einen Kleinkram
kümmern.«
»Ich habe immer ein wachsames Auge auf meine Kinder, das wissen Sie doch. Und die Vorstellung, dass jetzt Horden von Journalisten in Ihrer Nachbarschaft umherstreifen und Fragen stellen, gefällt mir absolut nicht.«
»Hier streifen keine Horden von –«
»Jetzt noch nicht«, sagte Reilly. »Aber was nicht ist, kann noch werden. Und deshalb würde ich es gern sehen, dass Sie nach Hause kommen. Zumindest für eine Weile.«
Mein Blick galt dem Wasserhahn. Ich war völlig ausgedörrt.
Ich konnte es kaum erwarten, das Gespräch zu beenden und mich mit Wasser voll laufen zu lassen. »Ich bin zu Hause, George«, sagte ich.
»Sie wissen, was ich meine. Es geht doch nur darum, dass wir hier viel besser auf Sie aufpassen können, Duane.
Meinetwegen nur ein paar Wochen. Bis sich drüben alles
wieder beruhigt hat.«
Die Wendung, die das Gespräch nahm, gefiel mir immer
weniger. »Hören Sie, George«, sagte ich, langsam, weil mein Kopf voll Watte war und mir das Denken schwer fiel, »ich weiß nicht, was für eine Nachricht Sie da erreicht hat. Hier kursieren allerlei Gerüchte, und die meisten, die ich gehört 117
habe, sagen, dass sich irgendwelche IRA-Splittergruppen
bekriegen, weiter nichts.« Jetzt half nur noch dreistes Lügen.
»Das regt hier niemanden großartig auf, habe ich das Gefühl.«
»Hier steht, dass eine Ermittlergruppe des National Bureau of Crime Investigations eigens aus Tralee angereist ist.«
»Das ist nichts Besonderes. Tralee ist die nächstgrößere Stadt. Und was ich gehört habe, sind die bloß angekommen, haben sich den Tatort flüchtig angeschaut und sind dann ins nächste Pub gegangen.« Das war wenigstens nur halb gelogen; die Besitzerin des Hotels hatte ja etwas in der Art angedeutet.
»Und der Tote? Das soll ein Amerikaner japanischer
Abstammung gewesen sein. Können Sie mir sagen, was so
jemand mit der IRA zu tun haben soll?«
Ein ächzendes Geräusch entschlüpfte mir. Ich log nicht nur, ich log auch noch schlecht. »Keine Ahnung«, sagte ich müde, weil mir keine plausible Erklärung einfiel.
»Mir gefällt das alles überhaupt nicht«, sagte Reilly.
»Sie machen sich unnötige Sorgen, George, glauben Sie
mir«, beschwor ich ihn. Dieser Tonfall half manchmal, man durfte bloß nicht überziehen. »Ich würde mich doch sofort melden, wenn sich eine sicherheitsrelevante Situation ergibt, das wissen Sie.«
»Hmm«, machte Reilly nachdenklich. Endlich.
»Ich bin vor Ort. Wenn ich es nicht beurteilen kann, wer dann? Irgendein junger Analytiker bei der CIA, der beweisen will, was er draufhat?«
»Vorsicht, das ist eine ungesicherte Leitung«, mahnte Reilly nervös. »Übrigens noch so etwas, das mir nicht gefällt.«
»Schon gut. George, ich schlage vor, Sie gehen jetzt erst mal ins Bett. Ich verspreche Ihnen, dass ich die nächsten Tage das 118
Haus hüte, so gut es geht, und Sie sofort anrufe, wenn ich lieber verreisen will. OK?«
Eine Weile summte es vielsagend im Transatlantikkabel,
dann meinte er müde: »OK. Machen wir es so. Passen Sie auf sich auf, Junge.«
»Schlafen Sie gut, George.«
Endlich legte er auf. Ich hängte mich, den Hörer in der Hand, an den Wasserhahn und trank, bis nichts mehr hineinwollte Dann schlurfte ich wieder ins Schlafzimmer, unterwegs den Telefonhorer entsorgend, und fiel zurück auf die verschwitzten Laken.
Gabriel
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