Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Geruch. Was tat ich eigentlich hier? Ging es mir wirklich um Bridget und ihr Verschwinden? Glaubte ich allen Ernstes, ich würde
irgendwelche bedeutsamen Spuren finden? Bildete ich mir ein, ich könnte sie aufspüren, nachdem dies der hiesigen Polizei nicht gelungen war, Leuten, die alle und jeden kannten, denen man bereitwillig Auskunft gab und die auf einen
umfangreichen organisatorischen Apparat zurückgreifen
konnten – nur weil ich, ein Fremder in diesem Land, ein
Unbekannter in dieser Stadt, zufällig ein paar technische Spielsachen, die aus einem James-Bond-Film stammen
könnten, in meinem Körper herumtrug?
Nein, war die Antwort. Was ich wirklich wollte, war, dieser Frau nahe zu sein. Und ich brachte es nicht fertig, aufzuhören mit dem, was ich tat.
Ich lauschte auf meinen Atem, als ich die Treppe
hinaufstieg, hörte das unmerklich leise Surren der passiv in den Beinmuskeln mitgezogenen Kraftverstärker. Meine Hand glitt über den Handlauf, und weil die Stufen ein wenig knarrten, 143
bewegte ich mich so langsam, dass ich sogar den
normalerweise fast nicht spürbaren Unterschied in der
Beweglichkeit meiner beiden Arme fühlen konnte: Seit den Operationen ist mein rechter Arm zwar stärker, aber auch geringfügig schwergängiger als der linke.
Ein kleiner Flur, drei Türen. Die erste, die ich öffnete, ging in einen Abstellraum, in dem ein Regal mit Schuhen stand, daneben ein abgewetzter Koffer, ein paar Kartons mit
Krimskrams und in der Mitte des Raumes ein leerer
Wäscheständer. Eine Hand voll Wäscheklammern lag auf dem Boden darunter verstreut, als habe jemand die getrocknete Wäsche in höchster Eile abgenommen.
Hinter der nächsten Tür war das Bad. Die Zahnbürste fehlte, und die Reihen der Kosmetika auf den Ablagen wiesen
deutliche Lücken auf. Auch hier Spuren von Hektik:
umgefallene Tuben und Flakons, Wattestäbchen auf dem
Boden, ein Handtuch, das zerknüllt in einer Wasserlache lag.
Im infraroten Bereich: nichts. Selbst wenn ich einen Tag eher hier gewesen wäre, hätte ich nicht mehr gesehen. Bridget hatte sich nicht lange genug in diesem Raum aufgehalten, um deutliche thermische Spuren zu hinterlassen. Sie war nach Hause gekommen, hatte so rasch wie möglich gepackt und war wieder gegangen, wohin auch immer. Warum? Was hatte sie
dazu veranlasst? Alles deutete darauf hin, dass sie das Haus bereits mit dem festen Vorsatz, sofort wieder zu verschwinden, betreten hatte.
Die dritte Tür. Sie führte in ihr Schlafzimmer. Das Fenster ging zum Garten und der Steinmauer hinaus, und man konnte einen schweren Vorhang aus dickem Samt davor ziehen.
Trotzdem musste das trübe Licht der Nachttischlampe
genügen.
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Eine Tür des Kleiderschranks stand weit offen, eine andere war nur angelehnt, und eine Menge Pullover, Kleider und
Hosen lagen – offenbar aussortiert – über das zerwühlte Bett verstreut. Dunkle, von altem Staub gezeichnete Streifen zeigten an, wo ein kleiner Koffer gelegen hatte, der vermutlich auf dem Schrank aufbewahrt worden war. Hast und Eile auch hier, als wäre jemand hinter ihr her gewesen. Jemand, den sie kannte und fürchtete.
Ich berührte eines der Kleider, die noch auf den Bügeln
hingen. Es war das Kleid, in dem ich sie am vergangenen
Samstag auf dem Weg zu Dr. O'Shea gesehen hatte. Es war aus dunkelgrünem Samt, mit zarten weißen Stickereien verziert und an den Rändern mit einer gelben Borte eingefasst. So, wie es da hing, wirkte es altmodisch und kitschig, aber an ihr hatte es umwerfend ausgesehen. Ich fuhr mit der Hand den Ärmel entlang, fühlte den weichen Stoff. Es roch noch nach ihr, bildete ich mir ein. Der ganze Schrank verströmte ihren Duft.
Hinter der Tür stand eine Frisierkommode, die Bridget nicht zu benutzen schien, denn es stapelten sich Zeitschriften und Körbe mit Strickwolle darauf so hoch, dass der Spiegel fast uneinsehbar war. An der Wand darüber hingen zahlreiche
gerahmte Fotos, teils sepiabraune, uralte Porträts uralter Menschen, teils verblassende, schlecht gemachte
Schnappschüsse aus moderneren Zeiten, alle um ein großes, farbiges Bild in einem schneeweißen Rahmen angeordnet: ein Hochzeitsfoto. Es zeigte Bridget im Hochzeitskleid und den Mann vom Sekretär unten als ihren Bräutigam.
Darunter hing noch ein Foto ihres Mannes, in einem
schwarzen Rahmen und mit einem Stück Trauerflor daran. Es war ein offiziell wirkendes Bild, auf dem er ernst dreinblickte, beinahe gefasst. Er war also tot. Was zumindest
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