Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
welchem soll das denn sein? Rechts oder links?«
»Das habe ich gerade mit Absicht nicht erwähnt. Sie spüren also nichts?«
»Beide fühlen sich an wie immer. Wie sie sich seit 1990
eben anfühlen.«
»Hmm.« Er raschelte mit seinen Unterlagen. »Ich habe mit Röntgenbildern von Metallkonstruktionen nicht so viel
Erfahrung, aber mir will scheinen, dass an dem
Hydraulikelement, das an der Ummantelung des rechten
Femurs ansetzt, etwas entweder schon gebrochen ist oder
demnächst zu reißen gedenkt. Was genau man da machen kann oder muss, kann ich nicht sagen, aber ich würde es mir gerne aus der Nähe ansehen. Ein, zwei Großaufnahmen des
Oberschenkels, nichts Dramatisches.«
Ich drehte das rechte Bein langsam nach außen und bildete mir ein, Metall auf Metall schaben zu hören, glaubte zu spüren, dass etwas lose war. Einbildung, sagte ich mir.
138
»Einverstanden«, sagte ich Dr. O'Shea. »Ich komme morgen Abend.«
Nach dem Gespräch starrte ich eine Weile vor mich hin,
folgte einer losen Kette von Assoziationen, die von einem Gedanken an Dr. O'Sheas Praxis weiterglitt zu dem Bild der Chapel Street bei Nacht, und plötzlich wurde mir bewusst, was auf dem Grund meiner Unruhe lag: Bridgets Verschwinden.
Ich würde keine Ruhe finden, ehe ich nicht etwas
unternommen hatte.
Draußen war es schon dunkel, außerdem windig, was es
rechtfertigte, meine dunkelste Windjacke anzuziehen. Niemand war zu sehen, als ich aus dem Haus trat. Ich ging bis ans Ende der Straße, wo entlang des Drahtzauns um ein seit langer Zeit leer stehendes Firmengebäude ein Trampelpfad auf ein Stück Wiese führt, über das man ans Ufer gelangt und auf einen befestigten Spazierweg bis vor zum Hafen. Dort überquerte ich eine Baustelle, auf der seit Jahren nichts vorangeht – das dürre Absperrgitter hängt schief in ein paar mit Beton ausgegossenen Autoreifen und rostet vor sich hin – und kam auf der Strand Street heraus, wo jede Menge Leute unterwegs waren, von
denen kein Einziger telefonierte. Niemand beachtete mich, wie ich, die Kapuze über den Kopf gezogen und die Hände in den Taschen, durch kleine Quergässchen stapfte, und wenig später stand ich vor Bridgets Haus, das so dunkel dalag wie am
Abend zuvor und Verlassenheit atmete.
Die Schalter meiner inneren Steuerung fühlen sich an wie fremdartige Muskeln – wahrscheinlich, hat mir einer der Ärzte im Steel Man Hospital einmal erklärt, weil im Grunde alles, was wir Menschen tun können, ist, irgendwelche Muskeln zu bewegen. Zu lernen, damit umzugehen, war, als lerne man mit den Ohren zu wackeln oder als übe man bizarre Breakdance-Bewegungen ein. Im Lauf der Zeit hat sich für jeden Schalter 139
ein Ort in meinem Körper herausgebildet, an dem ich ihn zu lokalisieren glaube. Dieser Ort hat nichts mit der Stelle zu tun, an der sich der jeweilige Schalter tatsächlich befindet – alle Schalter liegen in Wirklichkeit in ein und demselben
Steuerelement neben meiner rechten Niere –, vielmehr ist er eine mentale Hilfskonstruktion, die es erleichtert, ihn rasch und sicher zu bedienen. Eine Art Verwandter des
Phantomschmerzes nach Amputationen.
Die Schalter für meine Wahrnehmung scheinen sich hinter
meinem rechten Auge zu befinden, nebeneinander, aber gut unterscheidbar. Ich schaltete auf Infrarotsicht: blasse Spuren an der Gartentür, auf dem Plattenweg zum Haus, an der Klingel.
Viele Stunden alt. Vermutlich einer der Versuche der Polizei, Bridget ausfindig zu machen.
Das Haus selber lag dunkel und kalt da, deutlich dunkler als die bewohnten, beheizten Häuser rechts und links. Ich hätte eine Wette angeboten, dass es seit vierundzwanzig Stunden niemand mehr betreten hatte, und diese Wette mit Sicherheit gewonnen.
Ich knipste die Infrarotsicht aus und den Restlichtverstärker an. Das Dunkel der Nacht ertrank im körnigen Grün der
künstlich erzeugten Bilder. Ich glitt über den Zaun und unter einem zerfransten Busch hindurch in den dunklen Hintergrund des Gartens. Im Schatten der übermannshohen Steinmauer
verharrte ich reglos, lauschte mit leicht aufgedrehtem Gehör auf mögliche Reaktionen. Nichts.
Auf eine Taschenlampe verzichten zu können ist entschieden von Vorteil für einen Einbrecher. Ich hatte trotzdem eine dabei, eine kleine Stablampe, die einen kaum fingerdicken Lichtstrahl abgab, außerdem ein paar handliche Werkzeuge, die man als Normalbürger schwerlich auf legalem Weg bekommt und die
ich bei meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst
Weitere Kostenlose Bücher