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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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Rückwand hatte, sondern eine uralt aussehende Bohlentür in der Mauer dahinter verbarg. Mit
    vereinten Kräften zerrten wir ihren schweren, verrosteten Riegel beiseite. Die Tür ging nach innen auf, was auch
    unbedingt nötig war, wie mir klar wurde, als wir
    hinauskletterten in einen kaum mehr als zwei Handspannen breiten Spalt zwischen zwei Häusern. Mauerwerk im Rücken und Ziegelstein vor der Brust schoben wir uns seitlich
    hindurch, bis wir auf eine Straße entkamen, offenbar keinen Augenblick zu früh. Ein Kleinwagen tuckerte heran, die
    Scheinwerfer unvorschriftsmaßig weit abgeblendet, hielt
    gerade lang genug, dass wir uns auf den verdammt engen
    Rücksitz werfen konnten, und fuhr dann im gleichen
    gemächlichen Tempo weiter. »Unten bleiben«, zischte Finnan.
    Überflussigerweise, denn er war derart eingekeilt neben mir zu liegen gekommen, dass es mir schwer gefallen wäre, mich
    aufzurichten, ohne ihn ernstlich zu verletzen.
    189
    Es ging in westlicher Richtung aus Dingle hinaus, in einem Tempo, als hatten wir alle Zeit der Welt oder als sei der Fahrer so betrunken, dass jede schnellere Fahrweise zu gefährlich gewesen wäre. Unverdächtig also. Und der Fahrer, ein
    vierschrötiger Mann mit wildem Bartwuchs, war alles andere als betrunken, sorgsam vergewisserte er sich immer wieder, dass uns niemand folgte, und er tauschte ab und zu
    entsprechende Bemerkungen mit Finnan, die so klangen, als mache er so etwas nicht zum ersten Mal in seinem Leben.
    Bäuchlings auf dem Rücksitz eines japanischen Kleinwagens derart eingekeilt, dass man nur den Sitzbezug und höchstens aus dem Augenwinkel einen Zipfel Nachthimmel sieht, dauert eine Fahrt immer unerträglich lange. Ohne meine
    elektronischen Innereien zu bemühen, erinnerte ich mich gut genug an die Straßenkarte von Kerry, um mir zu sagen, dass die Straße, die wir fuhren, nach Murreagh, höchstens nach Ballydavid führen konnte. Meinem Gefühl zufolge aber
    mussten wir Neufundland erreicht haben, als das Auto endlich hielt.
    Der Fahrer stieg ohne ein weiteres Wort aus und ließ den Wagen mit laufendem Motor stehen. Nachdem ich mich hinter Finnan ins Freie geschoben hatte, sah ich ihn noch in einem dunklen Haus verschwinden, das einsam in der Landschaft
    stand.
    Finnan setzte sich ans Steuer, wartete, bis ich neben ihm saß, dann ging die Fahrt weiter, hinab von den befestigten,
    geteerten Wegen, die in Irland schon als Straßen betrachtet werden, über atemberaubende Feldwege und Trampelpfade,
    mehr oder weniger querfeldein, hinauf in ein nur undeutlich als riesiger dunkler Schatten erkennbares Gebirge.
    »Der Ort, zu dem wir fahren, ist natürlich nicht Bridgets eigentlicher Unterschlupf«, erklärte er, während er das Auto 190
    eine Steigung hinaufquälte, für die es niemals entworfen worden war. »Sie ist nur heute Abend dort, nur für dieses Treffen. Es ist mein persönliches Versteck, in das ich mich manchmal vor der Welt verkrieche, um nachzudenken,
    deprimiert zu sein... oder neue Lieder zu schreiben. Manchmal auch alles zusammen.«
    Ich sah ihn nur an, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
    Also sagte ich nichts.
    Die Scheinwerfer funzelten weiter, über Grasnarben,
    glitzernde Steine am Wegesrand, ausgetretene Furchen im
    Boden. Der Motor jaulte erbarmungswürdig, ganz zu
    schweigen von den Martern, die die Stoßdämpfer erdulden
    mussten.
    »Sie hat das schon einmal erlebt«, sagte Finnan nach einer Weile. »Wie es jemandem ergeht, der zu viel weiß. Patrick, ihr Mann... Er war bei der IRA. Weit oben in der Hierarchie. Wir wissen nicht genau, was er getan hat, aber jedenfalls hat er eines Tages dabei etwas erfahren, das er besser nicht erfahren hätte.
    Er ist durchs ganze Land geflohen, aber sie haben ihn
    trotzdem gefunden und getötet. Britische Agenten. Bevor sie Patrick erschossen, haben sie ihm erlaubt, ein letztes Mal mit seiner Frau zu telefonieren. Bridget war damals im fünften Monat schwanger, hatte danach einen Nervenzusammenbruch
    und eine Fehlgeburt. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hat sie ihre gesamte Familie verloren.« Er warf mir einen schmerzvollen Blick zu. »Ich nehme an, Sie verstehen, warum sie Angst hat.«
    191
    Wie lange ich lebe, steht in eines anderen Hand. Von mir hängt ab, ob ich mein Leben bewältige wie ein Mann. Verlange nicht von mir, ich solle ein unrühmliches Dasein gleichsam in Dunkelheit durchmessen. Verlange, dass ich mein Leben selber lenke, nicht nur hindurchgetragen werde!
    Seneca, epistolae

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