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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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ging, was nicht mehr lustig war.
    »Danke«, winkte ich ab und machte auf dem Absatz kehrt.
    Auf lange Konversation zu diesem unerfreulichen Thema
    konnte ich gerade gut verzichten. Außerdem wollte ich den armen Jungen nicht in die Gefahr bringen, in einem
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    unbedachten Moment womöglich zur Zielscheibe meiner
    Aggressionen zu werden. Oder zu der meiner Verfolger.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich den Weg die Main Street hoch einschlug, wie ich es immer getan hatte, um danach den Tag zu bewerten: Bridget gesehen – ein Punkt. Bridget nicht gesehen – null Punkte.
    Aber das konnte ich mir sparen. Ab heute würde es nur noch null Punkte geben.
    Ich blieb am Straßenrand stehen und überlegte. Die Straße runter und rauf blieben meine Begleiter ebenfalls stehen und warteten das Ergebnis meiner Überlegungen ab. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen. Auf die Dauer nervte es, selbst auf Distanz. Mehr und mehr kam ich mir vor wie ein Stück Wild, das bis zur Erschöpfung gehetzt werden soll.
    Und ich hatte Hunger. Mein Gott, hatte ich Hunger. Mein
    Bauch war ein Abgrund, eine große, schwärende Wunde, ein einziger Schmerz. Plötzlich hatte ich das Gefühl, es keine Stunde länger aushalten zu können. Wie von selbst setzten meine Füße sich in Richtung SuperValu in Bewegung. Fast anderthalb Jahrzehnte Dosenfraß und Essdisziplin waren
    vergessen. Uralte Instinkte übernahmen die Herrschaft.
    Nahrung!, befahlen sie, und ich gehorchte. Jagen!, sagten sie, und ich begab mich auf die Jagd.
    So fand ich mich gleich darauf zwischen den Regalen des
    Supermarkts wieder, einen leeren Einkaufswagen vor mir
    herschiebend, und ich hätte keinen Eid schwören können, auf welchem Weg ich dahin gelangt war und wie viel Zeit
    verstrichen war. Ich wanderte die Reihen der Dosen, Gläser und Pappschachteln ab und wusste nicht, was ich tun sollte.
    Außer Gewürzen und Ähnlichem hatte ich hier noch nie etwas gekauft. Die letzte Mahlzeit, die auch ein unbeteiligter Beobachter so bezeichnet hätte, hatte ich im April 1990 oder so 228
    zu mir genommen; heute macht es mir schon Probleme, anhand der Verpackungen auszumachen, was für Lebensmittel darin verborgen sind. Was also sollte ich kaufen? Was von all dem Zeug konnte ich denn essen?
    Die offizielle Antwort darauf war kurz und einfach: Nichts.
    Was immer ich, abgesehen von meiner speziellen Nährkost, zu mir nahm, würde im besten Fall meinen rudimentären Darm
    wirkungslos passieren, im schlimmsten Fall dagegen
    Verdauungsbeschwerden, Koliken und Krämpfe auslösen, die mich umbringen konnten.
    Aber heute war ich bereit zu wetten. Hauptsache, ich konnte meinen Magen wieder füllen, egal womit. Fleisch vielleicht, dachte ich, als ich an der Metzgertheke vorbeikam. Proteine.
    Galten die nicht als leichter verdaulich? Vage Erinnerungen, dass Pflanzen fressende Tiere lange Därme haben, Fleisch fressende Raubtiere dagegen kurze, oder war es andersherum?
    Ich hatte keine Ahnung. Aber dieses blutrote Stück Fleisch da in der Auslage auf dem chromblitzenden Tablett lachte mich an, sang Sirenengesänge, ließ mir das Wasser im Mund
    zusammenlaufen.
    »Das da«, sagte ich zu dem Mann hinter der Theke, und er wuchtete es bereitwillig auf sein Schneidbrett, zückte seinen großen Säbel und wollte wissen, wie viel davon.
    »Alles«, sagte mein Mund, ehe ich einen klaren Gedanken
    fassen konnte.
    Jetzt hob er doch etwas die Augenbrauen, der Mann mit dem Säbel, und die Frau neben mir warf mir merkwürdige Blicke zu. Das Fleisch auf die Waagschale. »Das kostet aber
    sechsunddreißig Euro! ?« Zweifelnder Unterton in der Stimme, als sei das, was ich wollte, ein sicheres und weithin bekanntes Zeichen geistiger Unzurechnungsfähigkeit.
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    Mein Mund und mein Bauch waren Verbündete, ganz klar.
    »Okay«, hörte ich mich sagen und gleich darauf bekräftigen:
    »Das ist okay.«
    »Na schön.« Atemlos sah ich zu, wie das rote Fleisch (Beute!
    Nahrung!) in beschichtetes Papier verpackt wurde, nahm es mit beiden Händen in Empfang und legte es mit einem Gefühl
    tiefer sinnlicher Befriedigung in meinen Wagen.
    Was noch? Jetzt hatte ich Blut geleckt. War im Jagdfieber.
    Ich beschlich das Regal mit den Getränken und riss eine
    Flasche Orangensaft, herrlich golden, paradiesische
    Verheißung. Vitamine. Natürlich, Vitamine brauchte ich auch.
    Auf dem Weg zur Kasse brachte ich außerdem noch ein Glas Honig in meine Gewalt, ohne dass ich hätte sagen können, was mich daran reizte. Vielleicht, weil es

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