Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
unstatthaft zu mir genommene Molekül wieder aus mir herauszupressen gedachte. Ich hing über meinem Stein, geschüttelt und gebeutelt, würgte und fluchte und heulte beinahe, und irgendetwas machte ich dabei mit dem Fels unter 232
mir, denn als ich es tausend Jahre später schaffte, mich zurück in eine halbwegs sitzende Position zu bringen, war nur noch Bruch übrig, ein Haufen Steine mit scharfen Kanten, die mit sanften, kollernden Geräuschen auseinander fielen. Meine rechte Hand tat weh und war staubig, und mir wurde
schwindlig. Ich sank auf die Seite und blieb so liegen, einen Geruch nach Algen und Salzwasser in der Nase, und ein kühler Wind strich mir übers Gesicht. Das tat gut. Ich schloss die Augen.
Etwas Nasses weckte mich. Hatte ich geschlafen? Offenbar.
Ich sah Möwen, ganze Kommandotrupps davon, die
gierschnäbelig näher kamen. Ein feiner Sprühregen füllte die Luft. Einen Iren veranlasst das nicht einmal, sein Hemd
zuzuknöpfen, geschweige denn, sich etwas überzuziehen. Nach ein paar Minuten hört so ein Regen auf, um nach ein paar weiteren Minuten wieder anzufangen. Man würde verrückt,
wenn man ihn nicht einfach ignorierte. Es gelang mir, mich aufzusetzen. Ich musterte die Überbleibsel des Felsens, auf dem ich gesessen hatte, und fühlte mich so leer wie noch nie.
Unwillkürlich hielt ich in dem sauer riechenden Erbrochenen nach Metallteilen Ausschau; ich hatte das Gefühl gehabt, die Hälfte meiner Implantate zu erbrechen. Aber da war nur ein unverdächtiger, allmählich versickernder und zerlaufender rotgelber Brei auf dem sandigen Kies.
Mein teurer Klumpen Fleisch lag im Dreck, und ich hatte
den Eindruck, dass er es war, worauf die Möwen es abgesehen hatten. Ich ließ ihn liegen, die Orangensaftflasche auch, nur den Honig nahm ich mit. Von dem wusste ich wenigstens, dass ich ihn vertrug.
Schwere, tief hängende Wolken ballten sich über der Bucht, während ich langsam den Weg zurück nach Dingle ging. Was wollte ich dort eigentlich? Nach Hause zog es mich nicht. Mein 233
Haus war leer, ein ungastlicher, entweihter Ort. Mir war kalt, ja. Aber wenn ich an zu Hause dachte, wurde mir nicht warm.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen, immer weiter, immer am staubigen Rand der Straße entlang. Es nieselte immer noch, aus dem Staub wurde nach und nach eine dünne, braune
Schmierschicht. Ich hatte es trotzdem nicht eilig.
Sie waren immer noch da, natürlich. Zwei Gestalten in
einem schwarzen, gelandegängig aussehenden Fahrzeug. Ich sah sie, als ich mich umdrehte, weil da so oft gehupt wurde. Sie krochen mit ihrem Wagen quasi am Rand meines Sichtfeldes hinter mir her, und die anderen Autofahrer, ahnungslos, mit wem sie es zu tun hatten, hupten das rollende
Verkehrshindernis wütend an.
Aber mit wem ich es zu tun hatte, das wusste ich ja selber nicht. Im Augenblick war es mir auch herzlich gleichgültig. Ich stapfte dumpf dahin, einen ekelhaft sauren Geschmack im
Mund, in der Kehle, in der Nase, und fühlte mich inwendig wund und elend. Einer der Momente, in denen ich meine
Implantate in ihrer stählernen, teflonummantelten
Unnachgiebigkeit besonders deutlich spüre. Das
unterschiedliche Gewicht beider Arme. Der ständige
Seitwartszug an meiner Wirbelsäule. Die Atombatterie schien mir auf die Blase zu drücken, zumindest kam es mir so vor. Die Kraftverstärker, zwischen meine natürlichen Muskeln
gezwängt und auf immer darin eingebettet, machten bei jedem Schritt feine, schabende Geräusche. Und ich hatte
Halsschmerzen.
Weil mir die vage Idee kam, statt nach Hause einfach in ein Hotel zu gehen, bog ich am Kreisverkehr in die Upper Main Street ein. Zwar kam es mir kauzig vor, mir in demselben Ort, in dem ich ein Haus besaß, ein Hotelzimmer zu nehmen, doch die Vorstellung einer heißen Dusche und eines frisch
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gemachten Bettes in einem fremden, von allen Erinnerungen unbelasteten Zimmer war fast unwiderstehlich. Leisten konnte ich es mir, auf meinem Konto verschimmelte das Geld
sowieso, aber ich würde zuerst noch frische Wäsche von zu Hause holen müssen. Und sollte ich, wenn schon, denn schon, in Brennan's Hotel nächtigen? Zumindest tat es gut, das Für und Wider dieses Plans abzuwägen, während ich die Straße hochstieg. Es tat gut, überhaupt etwas vorzuhaben.
Am Rande fiel mir auf, dass die Polizei ihre Untersuchungen vor Ort abgeschlossen zu haben schien. Der dunkelblaue
Transporter, der seit dem Mord an dem Anwalt wie
festgeschraubt vor Brennan's Hotel
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