Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
so wehrlos dastand und süßen Genuss versprach.
Mein Geld reichte gerade. Ein paar Münzen hatte ich übrig, als ich mir mit meiner Tüte den Weg nach draußen bahnte, wo sie warteten, meine Verfolger. Ich warf ihnen einen Blick zu, der sie, wäre ich Superman mit dem Hitzeblick, zu kleinen schwarzen Aschehäufchen hätte werden lassen, und wandte
mich in Richtung Hafen.
Überall Leute. Touristen, die aus Bussen stiegen.
Flanierende Passanten vor den Andenkenläden,
Ansichtskartenständer drehend, Pullover befühlend,
Getöpfertes befingernd. Die Kais belebt, die Arbeiten in vollem Gang, lange Schlangen vor dem Schalter für die Bootsausflüge.
Ich suchte Zuflucht, wollte mich in eine Höhle verkriechen und ungestört meine Beute verschlingen, unbeobachtet und ohne dass jemand sie mir streitig machte. Ich war irre vor Hunger.
Das war nicht der Hunger von ein paar Tagen, das war ein Hunger aus zwanzig Jahren, eine mörderische, wahnwitzige, bodenlose Gier nach Nahrung. Den Plastikbeutel mit dem
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Fleisch, dem Orangensaft und dem Honig vor die Brust
gepresst wanderte ich weiter, die Strand Street entlang, an der Fischfabrik vorbei, bis zum Kreisverkehr und dort immer
Richtung Ventry. Go west, young man.
Natürlich standen sie an diesem Ortsausgang auch, und
natürlich folgten sie mir in einigem Abstand. Außerstande, ihnen weitere negative Gefühle entgegenzubringen, ging ich einfach weiter, mir undeutlich bewusst werdend, dass ich unwillkürlich der Route meiner Sonntagvormittagspaziergänge aus verflossenen besseren Zeiten folgte. Linker Hand kam der Strand nach vielleicht einer halben Meile wieder an die Straße heran, nur durch einen schmalen Streifen Unterholz von ihr getrennt, den ich querfeldein durchquerte. Die rostigen, zerfressenen Wracks alter Fischerboote, die Bridget so gern fotografiert hatte, lagen immer noch da, unberührt von allen menschlichen Aufregungen ihrem eigenen Zeitplan des
Verfalls folgend. Ich stapfte über Kies und Geröll und fand einen großen Stein, auf den ich mich setzen konnte.
Dann nahm ich die Tüte auf den Schoß, holte die Saftflasche und das Honigglas heraus und stellte beides behutsam auf den Boden zwischen die Kiesel. Meine Hände zitterten, als ich das Paket mit dem Fleisch auspackte. Es fühlte sich kühl und weich an, und der Geruch, als ich das Papier zurückschlug, war ekelhaft und unwiderstehlich zugleich. Sichernd sah ich mich um. Niemand war zu sehen, wenn ich auch nicht daran
zweifelte, dass irgendwo meine Verfolger mit Ferngläsern saßen. Sollten sie. In diesem bebenden Moment zählte nur, dass ich die Zähne in dieses Stück Fleisch schlagen konnte.
Es leistete Widerstand. Ich hatte vergessen, wie zäh rohes Fleisch ist. Ich zog und zerrte und riss endlich einen kleinen Fetzen davon ab, kaute ihn mit zitterndem Genuss,
schweißnass auf einmal. Meine Zähne schmerzten, kein
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Wunder, waren sie doch seit Jahren nur noch mit Kaugummi trainiert worden und richtiges Kauen nicht mehr gewohnt. Wie herrlich! Ich kaute, kümmerte mich nicht darum, ob mir der Sabber das Kinn hinablief, kaute nur und kaute und schlang es schließlich hinab, von urtümlicher animalischer Befriedigung erfüllt.
Die Zeit blieb stehen. Ob Stunden vergingen oder Monate, ich hätte es nicht sagen können. Auch das Fleisch, dieser schwere, wabbelige Brocken Kadaver in meinen Händen,
wurde nicht weniger, war zu viel für mich, natürlich. Ich kaute einzelne Fasern und kleine Bröckchen, mein Unterkiefer
schmerzte von der ungewohnten Anstrengung, aber ich riss und kaute wie im Rausch.
Irgendwann ließ ich das Fleisch sinken, langte nach der
Flasche mit dem Orangensaft, schraubte sie mit einer Hand auf und nahm einen tiefen Schluck daraus, der kühl und intensiv wie reine Götternahrung meine Kehle hinablief, aber natürlich hätte ich das nicht machen sollen. Götternahrung für
Sterbliche, das kann nicht gut gehen. Ich stellte die Flasche zurück, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und betrachtete irritiert die blutige Spur darauf, während ich schon spürte, wie es in meinen verkrüppelten Eingeweiden zu
krampfen und zu zucken begann.
Himmel, was habe ich gekotzt! Nicht einmal in den
schlimmsten Nächten meiner wilden Jugendzeit – und einige von denen waren wirklich legendär – habe ich derart gekübelt.
Eine Urgewalt wütete in meinen wenigen Därmen, die
stählerne Faust eines titanischen Schlächters, der unnachsichtig jedes einzelne
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