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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SF-Online
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mir bis auf weiteres verschlossen bleiben wurde, nahm wenigstens meinen Honig mit und machte, dass ich um die nächste Ecke
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    verschwand. Und als ich zu Hause ankam, in meiner kahlen, kalten, geschändeten Wohnung, erwartete mich auf dem
    Anrufbeantworter die Nachricht von Lieutenant Colonel Reilly, dass er morgen Nachmittag in Dingle ankommen wurde. Zu
    einem Inspektionsbesuch.
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    Ich gehorche Gott nicht, ich will, wie er will. Ich folge ihm aus freien Stücken, nicht weil ich muss. Niemals kann etwas über mich kommen, was ich traurig und mit unwilliger Miene aufnehme. Ich werde keinen Tribut mit Widerwillen entrichten.
    Alles aber, was uns Seufzer entlockt und Schrecken einjagt, ist ein Tribut an das Leben.
    Seneca, EPISTOLAE MORALES

16
    Mein Leben lang habe ich mir vorgenommen, ordentlicher zu werden, Socken nicht mehr wochenlang auf dem Boden
    herumliegen zu lassen, Staub zu beseitigen, ehe er sich in den Zimmerecken zu katzengroßen Haufen ballt, im Badezimmer
    kein Lager leerer Augentropfenflaschen entstehen zu lassen und nicht mehr alles Mögliche in die Ritzen des Sofas zu stopfen, nur damit es aus dem Weg ist. Heute bin ich froh, dass aus diesen Vorsätzen nichts geworden ist. Denn in einer Ritze meines Sofas habe ich ihn wieder gefunden, meinen Seneca.
    Es war wie ein Geschenk, das schmale, abgegriffene
    Bändchen hervorzuziehen. Richtig, hier hatte ich gesessen, als ich zuletzt darin gelesen hatte. Ich musste es, ohne
    nachzudenken, neben mir in die Ritze versenkt haben, in der sich seit Jahren gebrauchte Papiertaschentücher, geleerte Salbentuben und Münzen sammeln. Die Einbrecher mussten es übersehen haben oder zumindest für unwichtig erachtet.
    Sie hätten nicht falscher liegen können. Mehr denn je kommt es mir vor wie das einzige Buch, das ich wirklich brauche.
    Seneca hält nichts davon, sich zu beklagen. Leben zu wollen, ohne irgendwelchen Unannehmlichkeiten zu begegnen, ist
    kindisch, und ein Mann sollte sich schämen für einen solchen Wunsch. Schmerzen, Existenzängste, Verluste, Trauer – all das 239
    hat man sich gewünscht, als man sich wünschte, ein hohes Alter zu erreichen. All das gehört zu einem langen Leben wie Staub und Schmutz zu einer langen Reise.
    Das Wetter schlägt wieder um, Wind, immer wieder
    Regenschauer, und ich wandere ziellos zwischen den Touristen umher, setze mich mal hier, mal dort auf eine Bank oder eine Mauer, wenn das Ziehen der Narben zu arg wird. An Tagen
    wie diesen spüre ich meine Rückenschmerzen. Und immer
    noch plagt mich Hunger, aber abgesehen davon, dass ich heute sowieso nichts kaufen könnte, werde ich mir den gestrigen Nachmittag eine Lehre sein lassen.
    All das habe ich mir gewünscht, als ich mir wünschte, der zu werden, der ich heute bin. Das heißt das doch, oder? Es gibt die Goodies und Baddies nicht einzeln, nur gebündelt, im Set, als Komplett-Paket. Nur dass im Leben eben manche Dinge nicht mal im Kleingedruckten stehen, geschweige denn außen auf der Verpackung. Ich wollte Superkräfte, und ich wollte sie als einer der Ersten. Nun ja, da kann es einem so gehen wie, sagen wir, den ersten Käufern von Videorekordern: Möglicherweise setzt man aufs falsche System, und sehr wahrscheinlich zahlt man viel zu viel dafür.
    Ich muss versuchen, mein Leben als Ganzes zu sehen. Wie
    alles zusammenhängt. Ich erinnere mich, dass ich als Kind letzte Wahl war, wenn es darum ging, eine Mannschaft
    zusammenzustellen. Einer von denen, die nicht schnell genug rennen können, um den Prügeln zu entgehen, und die nicht stark genug sind, um zurückschlagen zu können. Aber ich
    wollte stark sein, stark, groß und unbesiegbar. Das steht am Anfang: Ein Wunsch. Ein brennendes Verlangen. Dieses
    Verlangen brachte mich dazu, mit Hanteln und Maschinen zu trainieren, als ich entdeckte, dass es in meiner Schule einen Kraftraum gab. Ein verstaubtes, verwahrlostes Kellerloch im 240
    hintersten Winkel des Untergeschosses, dunkel und
    ungemütlich, mit Geräten in katastrophalem Zustand. Ich
    erinnere mich, dass es nur drei schmale Kippfenster hoch unter der Decke gab und eine fleckige Leuchtstoffröhre, die an manchen Tagen nervtötend zuckte, und dass man oft fast keine Luft bekam, so stank es.
    Aber ich bin jeden Tag hin. Zuerst zusammen mit Freunden, doch die sprangen einer nach dem anderen ab, hatten anderes vor, waren nicht von demselben Ausmaß an Verlangen
    getrieben. Nach ein paar Wochen hatte ich den Raum für mich.
    Glaube ich; vielleicht hat es auch

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