Microsoft Word - Green, Simon R.-Todtsteltzers Ende
und seit
Menschengedenken lagen keine Platten mehr auf
dem Dach. Im Sommer war es erstickend heiß und
im Winter bitterkalt, und jeder Raum wurde komplett
mit warmen und kalten fließenden Ratten angeboten.
Ganz zu schweigen von den Bettwanzen. (Zu Anfang
glaubte Douglas, das Einzelbett wäre mit einem Vibriermechanismus ausgestattet, und er reagierte mit
ernster und lautstarker Empörung, als ihm die Tatsachen erkennbar wurden.) Aber es war ein Zimmer,
und Zimmer waren schwer zu kriegen, also beklagte
sich niemand.
Douglas und Stuart standen für freie Kost und Logis dem Hotel als käufliche Desperados zur Verfügung. Es war nicht viel, aber mehr, als eine Menge
Leute hatten. Manche mussten jeden Abend um ihren
Platz in einem Eingang oder einer Pappschachtel
kämpfen. Nina ging es ansatzweise besser. Zusammen mit einigen weiteren abtrünnigen Medienleuten
arbeitete sie an einer Nachrichten-Website der Rebellen und zapfte immer wieder mal kurz die Hauptmedienleitungen an, um dem Äther ab und an ein
bisschen Wahrheit abzuringen. Bislang war damit
kein Geld zu verdienen, aber Nina hegte große Hoffnungen für die Zukunft. Im Slum traf man eine ganze
Menge ehemalige Medienleute, seit Finns Leute
sämtliche offiziellen Medien vollständig unter ihre
Kontrolle gebracht hatten. Shows waren nicht mehr
zu sehen, nur pausenlose Propaganda. An dem Tag,
als Die feine Gesellschaft aus dem Programm flog,
kam es zwar zu Aufständen, aber Finn wies seine
Leute einfach an, die Aufrührer als Zielscheiben für
ihre Schießübungen zu benutzen, bis die Menge den
Hinweis verstand und nach Hause schlich. Viele
Nachrichtenleute hatten jedoch ihre technischen
Kenntnisse in den Slum mitgebracht, und so lief die
Nachrichten-Site der Rebellen schon. Leider war teure und schwer erhältliche Technik nötig, um sie in
Gang zu halten und weiter die Firewalls der offiziellen Zensoren zu durchbrechen, sodass die Finanzierung ein ständiges Problem darstellte. Schließlich
konnte man auch nicht einfach Werbeblöcke vermarkten.
Douglas und Stuart schoben seit dem ersten Tageslicht Wache am Eingang zum Laternenhaus, und
es war inzwischen fast Mittag. Seit Stunden ging ein
Nieselregen nieder, ein kalter, betäubender, beharrlicher Niederschlag, der alles und jeden bis ins Mark
durchnässte. Die Kanalisation floss wieder mal über,
und der Gestank in den Straßen war beinahe unerträglich. Der bleierne, düstere Tag senkte sich als
Stimmungslage über alle Welt. Die Menschen schlichen auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause oder
zu irgendwas, was ein bisschen Geld einbrachte, die
engen Straßen entlang und hielten die Köpfe gesenkt,
um einander nicht in die Augen blicken zu müssen.
Die Zeiten waren hart.
Diebe fanden kaum noch Beute, und Ratten entwickelten sich zu einer Delikatesse. Aber so eng es
auf der Straße auch zuging, alle Welt wich den beiden maskierten Desperados vor dem Laternenhaus
weiträumig aus. Douglas und Stuart hatten schon oft
ihre Bereitschaft demonstriert, das Hotel zu schützen,
und waren dabei auf eine professionell gewalttätige
und beunruhigend gründliche Art zu Werke gegangen, die sogar von den abgehärteten Bewohnern des
Slums als eindrucksvoll empfunden wurde. Weshalb
die beiden Männer auch ein bisschen überrascht auf
den Anblick einer kleinen Schar schwer bewaffneter
Männer reagierten, die auf sie zukamen. Die circa ein
Dutzend Männer bewegten sich wie professionelle
Kämpfer, und obgleich sie bislang noch keine Waffen gezogen hatten, strahlten sie etwas aus, was das
Aufblitzen der Mordwerkzeuge nur noch als Frage
der Zeit erscheinen ließ.
»Kennst du sie?«, wollte Douglas leise von Stuart
wissen.
»Einige. Es sind Brion de Racks Männer. Ein
Schutzgeldring. So ziemlich jeder hier bezahlt de
Rack, nur um in Ruhe gelassen zu werden. Normalerweise nimmt er jedoch größere Geschäfte aufs
Korn, nicht Absteigen wie unsere hier.«
»Vielleicht erweitert er seine Geschäftsgrundlage.
Wie möchtest du vorgehen?«
»Oh, auf die übliche Art«, sagte Stuart und legte
eine Hand auf den Schwertgriff. »Zuerst ein Versuch
mit der Vernunft, dann die zügige Eskalation zu extremer Gewalttätigkeit.«
»Klingt für mich nach einem guten Plan«, sagte
Douglas.
Die circa ein Dutzend Schläger und Raufbolde
blieben in respektvoller Distanz zu den beiden maskierten Desperados stehen. Die Straße leerte sich
rasch, als aller Welt auf einmal siedend heiß einfiel,
dass
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