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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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das Privileg verwehrt, ihre Nummer zu kennen.
    Nachdem Connies Freund gekommen war, um sie abzuholen, setzte ich mich vor den Fernsehapparat. Ich war in diesem Haus zuvor noch nie allein gewesen. Ich zählte die Stunden, bis Vater mich am nächsten Morgen abholen würde. Langsam schlief ich ein, 135

    während ich schwarzweiße Schneeflocken über den Bildschirm tanzen sah.
    Am nächsten Morgen stolperte ich aus dem Bett und rieb mir die Augen. Dann ging ich zum Fenster. Ich drehte mich um und schaute hinter mich. Ich konnte mich überhaupt nicht erinnern, wie ich ins Bett gekommen war. Nachdem ich mir meine besten Sachen angezogen und mir das Gesicht sogar zweimal gewaschen hatte, lief ich zum Wohnzimmerfenster.
    Kerzengerade stehend wartete ich auf Vater.
    Nach ein paar Minuten begann meine Schulter zu schmerzen, aber ich blieb stocksteif stehen, als die Wohnzimmeruhr sieben schlug. Um 7.35 Uhr hörte ich das typische Geräusch von Vaters geliehenem VW. Ich gestattete mir ein Lächeln, nachdem ich nachgesehen hatte, ob meine Haare auch ordentlich saßen. Ich konnte einen bräunlichen VW sehen, der sich die Straße hinaufkämpfte. Aber er fuhr weiter. »Vielleicht hat er ja die genaue Adresse nicht«, sagte ich mir. »In ein paar Augenblicken wird er wieder da sein.«
    Um 7.55 Uhr hörte ich das Geräusch eines anderen VW Käfers, der an Lilians Haus vorbeifuhr.
    Dann redete ich mir ein, dass ich mir wohl die falsche Zeit gemerkt hätte - dass Vater mich um acht und nicht um sieben Uhr abholen wollte. Sicher hatte ich wieder mal einen Fehler gemacht. Dass ich aber auch immer so dumm sein muss, sagte ich mir.
    Acht Uhr kam und ging - wie auch mehr als ein Dutzend anderer Autos, die vorbeifuhren. Und jedes Mal, wenn eines dieser Autos die Straße herauffuhr, wusste ich tief in meinem Herzen, dass im nächsten Auto aber ganz bestimmt Vater sitzen müsste.
    Gegen neun Uhr stolperte Lilian gähnend in die Küche. »David, bist du immer noch da?« Ich nickte nur 136

    stumm. »Na, dann will ich aber lieber noch mal auf meinen Kalender schauen. Ich weiß, dass dein Vater gesagt hat, er wol te Punkt sieben hier sein. Ja, du liebe Güte, ich hab's hier doch eingetragen. «
    »Ich weiß, Mrs. C«, sagte ich und versuchte, meine Gefühle nicht zu zeigen. »Er wird wohl jeden Augenblick hier ... « Ich wandte den Kopf ruckartig zum Fenster, als ich das Rumpeln eines weiteren alten VW-Käfers hörte, der die Straße heraufkroch. »Sehen Sie?
    Das ist er!«, rief ich aus und zeigte aufs Fenster. Ich ergriff Lilians Hand. Ich wollte ihr unbedingt zeigen, wie Vater in die Einfahrt fuhr.
    »Ja!«, rief ich.
    Einen Augenblick wurde das Auto langsamer, aber nur, um in einen kleineren Gang zu schalten, ehe es am Haus vorbeistotterte. Meine Hand sackte aus Lilians Hand. Sie sah mich an, als wollte sie etwas zu meiner Aufmunterung sagen.
    Aber ich war innerlich total verspannt. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals. »Nein, sagen Sie's lieber nicht!«, schrie ich. »Er wird bald hier sein! Ich weiß es ganz genau! Sie werden's sehen! Mein Papa wird jeden Augenblick vor
    fahren! Passen Sie nur auf! Mein Vater hat mich lieb!
    Irgendwann werden wir wieder zusammenleben und ...
    und wir werden für den Rest unseres Lebens glücklich und zufrieden sein. Ich weiß, sie liebt mich nicht, aber mein Papa liebt mich. Sie braucht einen Psychiater, nicht ich! Sie ist krank ... «
    Mein Brustkorb schien immer mehr zu schrumpfen, als ich weiterschwadronierte. Ich spürte, wie jemand mich fest an den Schultern packte. Ich ballte meine rechte Hand zur Faust, drehte mich schnell um und schlug wild zu. Doch als meine Augen das Ziel 137

    erkannten, versuchte ich noch anzuhalten. Vergeblich.
    Einen Augenblick später traf ich Rudy mit voller Wucht auf den Unterarm.
    Mit Tränen in den Augen sah ich zu ihm auf. Rudy hatte mich noch nie zuvor so herumwüten sehen.
    Augenblicklich wollte ich mich entschuldigen, aber ich konnte es nicht. Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich immer für alles und jedes zu entschuldigen - dafür, dass ich bestimmte Wörter und Ausdrücke nicht verstand; dass ich mich von Larry junior und dem verrückten Psychiater so gedemütigt fühlte; dass ich mit dem Fahrrad die besagte Straße entlang gefahren war; oder dass ich nur versucht hatte, die Stimme meiner Mutter zu hören. Und dann war ich auch noch derjenige gewesen, der sich gesagt hatte, er habe sich Vaters Abholzeit falsch gemerkt!
    Dabei hatte ich schon die ganze Zeit

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