Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc
hast Hausarrest!«
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»Hausarrest?«
»Ja, genau, Hausarrest bis ... bis ich entscheide, dass du dich wieder frei bewegen darfst!«, sagte Lilian aufgebracht und rauschte ab, noch ehe ich sie fragen konnte, was sie denn eigentlich meine.
Larry stand ungläubig da. »Mensch, ich hab' dir doch gesagt, dass das keine gute Idee war.«
»So ... ? War's das?«, fragte ich. Ich wusste, dass Lilian böse war, aber ich erwartete ... nun, eigentlich wusste ich gar nicht so genau, was ich zu erwarten hatte. Aber damit komme ich schon klar, sagte ich mir.
Als sich Big Larry gerade den Schweiß von der Stirn wischte, kam Lilian zurück in die Küche marschiert.
»Wisch dir dein dummes Grinsen aus dem Gesicht, du Wunderknabe«, sagte sie, als sie mich anschaute. »Ich habe vergessen, dir zu sagen - dein Vater will morgen früh um 7 Uhr kommen, du musst also früh aufstehen.
Kommst du damit klar, ja?«, fragte Lilian mit verschlagenem Lächeln.
»Ja, Madam. Damit komme ich klar«, erwiderte ich wie ein begossener Pudel.
»Und du da!«, schrie sie, als sie sich wieder Larry zuwandte. »Verschwinde in deinem Zimmer!«
Larry zuckte mit den Schultern. »0 Mom, ist das wirklich dein Ernst?«
»Fort mit dir!«, bellte Lilian.
Als Larry die Küche verlassen hatte, wischte sich Lilian die Augen. »Komm her und setz dich. Und jetzt hör mir mal ganz genau zu. Deine Mutter ... « Sie hielt inne und räusperte sich. »David, ich versorge Pflegekinder schon seit wer weiß nicht wann. Aber noch nie, wirklich 133
noch nie habe ich es mit jemand zu tun gehabt, der so gefühlskalt ist wie deine Mutter.«
»Wem sagen Sie das!«, unterbrach ich sie.
»David, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze zu machen. Du musst endlich mal etwas wirklich verstehen: Du bist jetzt ein Pflegekind. Ein Pflegekind!
Und darum hast du gegen zwei Handicaps
anzukämpfen. Du musst sehr sorgfältig darauf achten, was du sagst, und auf alles, was du tust. Wenn du Probleme bekommst, dann können wir ... dann könnten wir dich verlieren.«
An ihrem ernsten Ton erkannte ich, dass das, was sie mir gerade sagte, wirklich wichtig war. Und doch konnte ich ihre Botschaft einfach nicht verstehen.
Lilian nickte - ein Zeichen dafür, dass sie wieder über meinen Kopf hinweg zu sprechen begann. »David, wenn du ernsthaft Probleme bekommst, kannst du in der Anstalt enden - in der Erziehungsanstalt. Denn da schicken sie Pflegekinder hin, die Ärger machen. Aber das ist ein Ort, wo du wirklich nicht hinwillst. Ich weiß nicht, was deine Mutter im Schilde führt, aber du, junger Mann, solltest jetzt lieber lernen, mit dir selbst ein bisschen besser klarzukommen. Sonst hast du bald Hausarrest - für ein ganzes Jahr. « Lilian tätschelte mir die Knie und ging dann aus der Küche.
Ich wusste, dass sie Mutter verwendete, um mir Angst einzujagen. Außerdem wusste ich, dass Mutter nie mehr an mich herankommen würde, jetzt, da ich bei einer Pflegefamilie wohnte ... oder konnte sie es etwa doch?
»Hey, Mrs. C«, rief ich ihr nach, »was heißt Hausarrest? «
»Da mach dir mal keine Sorgen. Das wirst du noch schnell genug herausfinden«, meinte Lilian, als sie 134
langsam den Flur entlang zu ihrem Schlafzimmer ging.
»Du wirst schon klarkommen! «
An jenem Abend dachte ich lange und nachdrücklich über das nach, was mir Lilian gesagt hatte. Nachdem Rudy und Lilian zum Abendessen ausgegangen waren, verspürte ich den überwältigenden Drang, Mutter anzurufen. Seltsamerweise wollte ich gern mit ihr reden, ihre Stimme hören. Mehrmals nahm ich den Telefonhörer ab, konnte es aber nicht über mich bringen, ihre Nummer zu wählen.
Ich wischte gerade meine Tränen ab, als Connie in die Küche stürmte. »Hey, was ist los? «
Ich gab meinen Widerstand auf und erzählte ihr, was ich gerade zu tun versuchte. Ohne ein Wort zu sagen, nahm Connie den Hörer und wählte die Nummer meiner Mutter. Ein paar Augenblicke später bekam ich fast keine Luft mehr, als ich eine Tonbandansage hörte, dass Mutters Nummer geändert worden sei. »... Kein Anschluss unter dieser Nummer ... «
Connie gab jedoch nicht so schnell auf und rief die Auskunft an. Dort sagte man ihr, die Teilnehmerin habe jetzt eine Geheimnummer.
Ich stand vor Connie und wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Ich wusste auch nicht, welche Gefühle jetzt angebracht waren. Aber ich wusste, dass Mutters Änderung ihrer Telefonnummer Teil eines neuen
»Spielchens« war - jetzt war mir nämlich
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