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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

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Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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Bett 148

    auf und rannte im Zimmer auf und ab. Alles in meinem Leben regte mich dabei nur noch mehr auf.
    An jenem Samstag gab ich mir bei meinen Pflichten im Haushalt keine Mühe. Ich saugte nur nachlässig Staub und wischte fast keinen Staub von den Möbeln.
    Nach getaner Hausarbeit fuhren Rudy und Lilian Lebensmittel einkaufen. Ganz allein zu Haus, setzte ich mich in Rudys Schaukelstuhl

    und zappte die Fernsehkanäle durch. Doch die Sache wurde schnell uninteressant, als ich merkte, dass die Comicsendungen am Morgen schon alle vorbei waren.
    Ich wälzte mich aus dem Stuhl und schlenderte zum Wohnzimmerfenster, um hinauszusehen. Ich dachte, vielleicht würde Vater ja morgen zu Besuch kommen.
    Doch nach ein paar Sekunden lachte ich mich selbst aus, weil ich wusste, welch alberner Gedanke das war.
    Plötzlich fiel mir ein Kind ins Auge, das wie der Blitz auf dem Fahrrad die Straße hinabsauste.
    Ohne nachzudenken, rannte ich in mein Zimmer, leer-te den Inhalt meiner Spardose in meine Hand und griff nach meiner Jacke, bevor ich die Treppe hinuntertrottete. Stolz holte ich mein Fahrrad heraus und knallte dann die Tür extra laut zu. Ich hatte mich entschlossen, wegzulaufen.
    Ich spürte ein erregendes Gefühl, als der Fahrtwind mir ins Gesicht blies, und ich radelte bergauf und bergab nach Daly City, zum Serramonte-6-Kino. Dort angekommen, stellte ich mein Fahrrad ab und sah mir den James-BondFilm dreimal nacheinander an, ehe ich mich in die anderen Filmvorstellungen schlich. Später am Abend warf mich der Platzanweiser hinaus, weil er das Kino zumachen wollte. Was meine Entscheidung 149

    wirklich bedeutete, wurde mir erst jetzt langsam bewusst. Als ich mein Fahrrad aufschloss, zitterte ich vom kalten Nebel, der mir durch alle Kleider drang. Als mir der Magen knurrte, griff ich in meine Hosentasche und zählte meine Barschaft - 2,30 Dollar. Ich tat das Geld wieder in die Tasche und blendete meinen Hunger aus. Ich konzentrierte mich lieber auf das Unterkunftsproblem. Um warm zu bleiben, trat ich in die Pedale. Doch erst als ich an den dunklen Häusern in den benachbarten Wohngebieten entlang fuhr, merkte ich, dass es schon auf Mitternacht zuging.
    Etwas später radelte ich die Straße zu meiner alten Grundschule hinab. Ich fuhr am Spielplatz auf dem Schulhof vorbei und hörte das Geräusch der im Wind schwingenden Schaukeln. Danach schob ich mein Fahrrad scheinbar endlos die Eastgate Avenue bergauf.
    Als ich oben bei der Crestline Avenue angekommen war, versteckte ich mich - genau wie schon einige Wochen zuvor - hinter einem Gebüsch und sah die neblige Straße hinab.
    Ich konnte es einfach nicht lassen, ich musste die Straße wieder hinabfahren. Ein paar Häuser oberhalb von Mutters Haus hielt ich an. Sanftes gelbes Licht schien durch die Gardinen ihres Schlafzimmers. Ich fragte mich, ob Mutter wohl je an mich dachte, so wie ich an sie dachte. Ich begann darüber nachzudenken, wie meine Brüder wohl ihre Zeit in Mutters Haus verbrachten. Ein böiger Wind blies mir durchs Haar. Ich rollte meinen Hemdkragen hoch. Ich merkte, dass das Haus, das ich jetzt heimlich beobachtete, nicht mehr 150

    das Haus war, das eine ganze Horde Kinder beherbergt hatte, als meine Mutter noch Wölflingsführerin bei den Pfadfindern gewesen war, und auch nicht mehr dasselbe Haus, das zur Weihnachtszeit das beliebteste im ganzen Straßenblock gewesen war - damals, vor vielen Jahren. Nachdem Mutter das Licht in ihrem Schlafzimmer gelöscht hatte, sprach ich ein Gebet, ehe ich die Straße weiter nach unten fuhr, wieder in die Gegend, in der das Kino lag. In jener Nacht schlief ich zusammengekauert und vor Kälte zitternd unter einer Klimaanlage ein.

    Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich im Kino.
    Beim Bruce-Lee-Film Enter the Dragon schlief ich ein.
    Als das Kino am Abend zumachte, fuhr ich zum nahe gelegenen Denny's Restaurant. Als die Teller mit den Gerichten auf dem Fließband an mir vorbeisausten, lief mir das Wasser im Munde zusammen. Der Manager, der mich schon seit zwei Tagen beobachtet hatte, setzte sich hin und sprach mit mir. Nachdem er mich ein paar Minuten lang »weich geklopft« hatte, gab ich ihm die Telefonnummer der Catanzes. Ich schlang einen Burger herunter, ehe Rudy kam und mich mit seinem blauen Chrysler abholte.
    »David«, begann Rudy, »ich will dich nicht weiter drangsalieren. Aber ich sag dir nur das eine: Du kannst dich nicht weiter so benehmen wie bisher. So können wir nicht weiterleben - weder du noch wir. Du

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