Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
Vom Netzwerk:
später rann mir ein warmer Blutstrom aus der Nase.
    Die Faust des Achtklässlers war so schnell gewesen, dass ich sie nicht einmal hatte kommen sehen.
    »Wie hast du sie genannt?«, wiederholte er.
    Ich schloss die Augen, ehe ich meine Antwort wiederholte.
    Erneut krachte seine Faust in mein Gesicht.
    Erst nachdem ich sechs Schläge kassiert hatte, ging mir endlich auf, dass ich das Wort Horror besser nicht noch mal sagte, weil es offenbar etwas ganz Schlimmes bedeutete. Ich entschuldigte mich bei dem Jungen, der einem Gorilla ähnelte, aber der schlug mich noch einmal und bellte: »Untersteh dich, zu meiner Schwester noch einmal, auch nur ein einziges Mal, Hure zu sagen!«
    An diesem Nachmittag blieb ich in Joannes Haus in meinem Zimmer und versuchte, mein total verbogenes Brillengestell zu reparieren. Dabei entging mir anscheinend ganz, dass Joanne ebenfalls in ihrem Zimmer blieb. Während die Tage vergingen, wollte ich sie und Michael eigentlich unbedingt fragen, was denn eine
    »Hure« sei, aber aus der Art und Weise, wie sich die beiden zueinander verhielten, konnte ich entnehmen, dass ich wohl besser dran wäre, wenn ich meine Probleme für mich behielte.
    Als ich ein paar Wochen später von der Schule nach Hause kam, sah ich, wie Joanne dasaß, den Kopf in den Händen vergraben. Ich rannte auf sie zu. Sie 216

    wimmerte nur und sagte, dass Michael und sie sich scheiden lassen würden. Mein Kopf begann zu pochen.
    Ich saß ihr zu Füßen, als sie mich informierte, dass Michael eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt habe. Ich nickte, als Joanne weinte, aber ich wusste nicht, worum es wirklich ging. Indes, ich wusste nur zu gut, dass ich lieber nicht nachfragen sollte.
    Ich hielt sie im Arm, bis sie sich in den Schlaf geweint hatte. Ich war stolz. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich für jemand anders dagewesen. Ich drehte das Licht im Wohnzimmer aus und deckte Joanne zu, ehe ich meine Habseligkeiten in der Einkaufstüte ein letztes Mal überprüfte. Ich legte mich auf mein Bett und wusste tief in meinem Herzen, dass ich irgendwie einer der Gründe dafür war, dass sich die Nulls' jetzt scheiden lassen wollten. Wirklich, es dauerte nur noch zwei Tage, dann musste ich mich von Joanne trennen, die weinend auf der Veranda stand, während Gordon und ich im Chevy Nova langsam die Straße entlang fuhren.
    Ich griff in meine Hosentasche und holte einen Zettel heraus, auf dem die Adressen und Telefonnummern von all meinen bisherigen Pflegefamilien standen. Ich borgte mir von Gordon einen Kugelschreiber und strich Joanne und Michael Nulls aus. Ich spürte keine Reue.
    Aber ich wusste, dass ich zusammenbrechen und heulen würde, wenn ich jetzt darüber nachdächte, was ich für Joanne Nulls, Alice Turnbough und Lilian Catanze empfunden hatte. Allerdings hatte ich das Gefühl, jetzt über den Dingen zu stehen. Sorgfältig faltete ich meinen Adressenzettel zusammen und steckte das Papier zurück in die Tasche.
    Während ich aus dem Autofenster sah, verbannte ich alle Gefühle, die ich für die Nulls entwickelt hatte, aus meinem Kopf - überhaupt alle Gefühle für andere. Ich 217

    blinzelte mit den Augen. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, als würde mich Gordon nach Daly City fahren. »Fahren wir auch wirklich in die richtige Richtung?«, fragte ich mit quiekender Stimme.
    Gordon stieß einen Seufzer aus. »David, äh ... wir haben einen Mangel an Pflegefamilien. Es bleibt nur noch eine, die ganz in der Nähe deiner Mutter wohnt. «
    Ich spürte, wie ich einen Kloß im Hals bekam. »Wie nahe denn?«, wimmerte ich.
    »Weniger als anderthalb Kilometer«, antwortete Gordon trocken.
    Ich nickte mit dem Kopf, als die Thomas-Edison-Grundschule vor uns auftauchte. Ich rechnete aus, dass die Entfernung von meiner alten Schule bis zum Haus meiner Mutter weniger als anderthalb Kilometer betrug, und konnte spüren, wie sich mein Brustkorb anspannte.
    Der Gedanke, wieder so nahe bei Mutter zu leben, ließ mein Herz unregelmäßig schlagen. Doch irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Ich presste mein Gesicht ganz dicht an die Autofensterscheibe. Die Schule sah total anders aus. »Was ist denn hier passiert?«, fragte ich kopfschüttelnd.
    »Oh, das ist inzwischen eine Junior High School geworden. Und auf diese Schule wirst du auch gehen.«
    Ich seufzte. »Kann denn nicht irgendwas mal so bleiben, wie es war?«, fragte ich mich im Stillen sarkastisch. Der Anflug erregter Vorfreude, vielleicht jene Lehrer wieder zu

Weitere Kostenlose Bücher