Middlesex
Bevor er am dritten Morgen zur Arbeit aufbrach, hatte er ihr Essen gebracht, einen Teller weiße Bohnen mit Tomatensoße und Brot.
Das Essen war noch unberührt, als es an der Haustür klopfte. Desdemona stand nicht auf, um zu öffnen, sondern zog sich ein Kissen übers Gesicht. Trotz dieser Dämpfung hörte sie es weiterklopfen. Etwas später ging die Haustür auf, dann kamen Schritte die Treppe herauf und in ihr Zimmer.
»Tante Des?«, sagte Tessie. Desdemona regte sich nicht.
»Ich muss dir was sagen«, fuhr Tessie fort. »Ich wollte, dass du's als Erste erfährst.«
Die Gestalt im Bett blieb weiter reglos. Dennoch folgerte Tessie aus der Aufmerksamkeit, die Desdemonas Körper ergriffen hatte, dass sie wach war und zuhörte. Tessie holte tief Luft und verkündete: »Ich werde die Hochzeit absagen.«
Stille trat ein. Langsam zog sich Desdemona das Kissen vom Gesicht. Sie langte nach ihrer Brille auf dem Nachttisch, setzte sie auf und rutschte hoch. »Du willst Mikey nicht heiraten?«
»Nein.«
»Mikey ist ein guter griechischer Junge.«
»Das weiß ich. Aber ich liebe ihn nicht. Ich liebe Milton.« Tessie hatte erwartet, dass Desdemona entsetzt oder empört reagieren würde, aber zu ihrer Überraschung schien meine Großmutter das Geständnis kaum wahrzunehmen.
»Du weißt es nicht, aber Milton hat mich schon vor einer Weile gebeten, seine Frau zu werden. Ich habe nein gesagt. Jetzt schreibe ich ihm und sage ja.«
Desdemona zuckte leicht die Schultern. »Du kannst schreiben, was du willst, meine kleine mou. Miltie wird's nicht kriegen.«
»Es ist nicht illegal oder so. Sogar Cousins und Cousinen ersten Grades können heiraten. Und wir sind nur Cousin und Cousine zweiten Grades. Milton hat in den Gesetzbüchern nachgeschaut.«
Wieder zuckte Desdemona nur die Achseln. Von Sorgen ausgelaugt, vom heiligen Christophorus im Stich gelassen, stellte sie den Kampf gegen eine Eventualität ein, die ohnehin nie vorgesehen war. »Wenn du und Miltie heiraten wollt, habt ihr meinen Segen«, sagte sie. Dann ließ sie sich wieder auf ihre Kissen sinken und schloss die Augen vor dem Schmerz des Daseins. »Und gebe Gott, dass ihr nie ein Kind haben werdet, das im Ozean stirbt.«
In meiner Familie ist der Leichenschmaus schon immer auf die Hochzeitstafel gekommen. Meine Großmutter gab meinem Großvater das Jawort, weil sie nicht im Traum damit rechnete, die Hochzeit zu erleben. Und meine Großmutter segnete die Ehe meiner Eltern, gegen die sie energisch intrigiert hatte, nur deshalb, weil sie nicht glaubte, Milton werde bis zum Ende der Woche noch am Leben sein.
Auch mein Vater auf See glaubte das nicht. Am Bug des Truppentransporters stehend, starrte er hinaus aufs Wasser, sein rasch nahendes Ende fest im Blick. Er war nicht versucht zu beten oder seinen Frieden mit Gott zu machen. Er nahm die Unendlichkeit in sich auf, ohne ihr mit menschlichen Wünschen die Kälte zu nehmen. Die Unendlichkeit war so weit und kalt wie der Ozean, der sich rings um das Schiff ausdehnte, und am heftigsten in dieser Leere spürte Milton die Wirklichkeit seiner dröhnenden Gedanken. Irgendwo jenseits des Wassers war die Kugel, die sein Leben beenden würde. Vielleicht war sie schon in das japanische Gewehr geladen, aus dem sie abgefeuert würde, vielleicht war sie in einem Munitionsgürtel. Er war einundzwanzig, hatte fettige Haut und einen markanten Adamsapfel. Er dachte, dass es dumm gewesen war, wegen eines Mädchens in den Krieg davonzulaufen, aber dann nahm er das zurück, weil es nicht irgendein Mädchen war; es war Theodora. Als ihr Gesicht vor seinem inneren Auge erschien, tippte ihm ein Matrose auf den Rücken.
»Wen kennst du in Washington?«
Er übergab meinem Vater einen Verlegungsbefehl, der umgehend auszuführen war. Er sollte sich bei der Marineakademie in Annapolis melden. Milton war bei der Zulassungsprüfung achtundneunzigster geworden.
Jedes griechische Drama benötigt einen Deus ex machina. Meiner kommt in Form des Bootsmannsstuhls, der meinen Vater vom Deck des AKA-Truppentransporters hob und durch die Luft entführte, um ihn auf dem Deck eines Zerstörers abzusetzen, der auf dem Rückweg zum amerikanischen Festland war. Von San Francisco reiste er in einem eleganten Pullman-Waggon nach Annapolis, wo er als Kadett aufgenommen wurde.
»Ich sag dir, der heilige Christophorus, der holt dich aus die Krieg«, jubilierte Desdemona, als er zu Hause anrief und die Neuigkeit verkündete.
»Das hat er wahrhaftig
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