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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Hintertür in Kartons angeliefert und auf Tellern durch die Luke nach vorn gereicht werden, lockere Haufen Rührei in strahlend gelbem Technicolor, und wieder die Kasse, wie sie aufschießt, und Geld, das sich auftürmt. Bis wir schließlich Milton und Tessie sehen, wie sie im Sonntagsstaat einem Immobilienmakler durch ein großes Haus folgen.
    Das Viertel Indian Village lag nur zwölf Straßen westlich der Hurlbut Street, aber es war eine vollkommen andere Welt. Die vier Prachtstraßen Burns, Iroquois, Seminole und Adams (selbst in Indian Village hatte sich der weiße Mann die Hälfte der Straßennamen zu Eigen gemacht) waren mit imposanten Häusern in eklektischen Stilen gesäumt. Georgianische aus rotem Backstein erhoben sich neben anderen im englischen Tudor-Stil, die wiederum welchen im französischen Landhausstil wichen. Die Häuser in Indian Village hatten große Gärten, breite Fußwege, pittoresk oxidierende Kuppeln, Negerstatuetten auf dem Rasen (deren Tage gezählt waren) und Alarmanlagen (deren Beliebtheit gerade erst begann). Doch mein Großvater blieb stumm, als er das eindrucksvolle neue Heim seines Sohnes besichtigte. »Das Wohnzimmer ist ganz schön groß, findest du nicht?«, fragte Milton ihn. »Komm, setz dich. Mach's dir bequem. Tessie und ich möchten, dass du und Ma es auch als euer Haus betrachtet. Wo ihr nun im Ruhestand seid...«
    »Wie meinst du das, im Ruhestand?«
    »Na gut, halb im Ruhestand. Jetzt, wo ihr es ein bisschen langsam angehen lassen könnt, habt ihr doch Zeit für das, was ihr schon immer tun wolltet. Sieh mal, da ist die Bibliothek. Wenn du hier deine Übersetzungen machen möchtest, kannst du dich da hinsetzen. Wie findest du den Tisch? Groß genug für dich? Und die Regale sind gleich in die Wand gebaut.«
    Aus dem Alltagsgeschäft im Zebra Room verdrängt, verbrachte mein Großvater seine Tage zunehmend damit, in der Stadt herumzufahren. Er fuhr ins Zentrum in die Bibliothek, um ausländische Zeitungen zu lesen. Danach besuchte er ein griechisches Kaffeehaus in Greektown, um Backgammon zu spielen. Mit seinen vierundfünfzig war Lefty noch gut in Schuss. Um es zu bleiben, ging er täglich fünf Kilometer spazieren. Er aß vernünftig und hatte weniger Bauch als sein Sohn. Dennoch richtete die Zeit ihre unausweichlichen Verwüstungen an. Lefty musste nun eine Bifokalbrille tragen. In der Schulter hatte er eine kleine Schleimbeutelentzündung. Seine Kleidung war unmodern geworden, so dass er aussah wie ein Statist in einem Gangsterfilm. Als er sich eines Tages im Spiegel einer kritischen Betrachtung unterzog, sah Lefty, dass er einer jener älteren Männer geworden war, die sich die Haare aus Treue zu einer Ära, an die sich niemand mehr erinnern konnte, nach hinten kämmten. Bedrückt raffte er seine Bücher zusammen und fuhr in die Seminole Street, um sich dort in die Bibliothek zu setzen, doch als er am Haus ankam, fuhr er weiter. Mit einem Flackern in den Augen strebte er zu Sanitätsbedarf Rubsamen.
    Hat man einmal den Fuß in die Unterwelt gesetzt, vergisst man nie den Weg dorthin zurück. Bis in alle Ewigkeit hat man einen Blick für das Rotlicht im Fenster oben oder das Sektglas an der Tür, die sich vor Mitternacht nicht öffnet. Seit Jahren war meinem Großvater, immer wenn er am Sanitätsbedarf Rubsamen vorbeifuhr, die unveränderte Schaufensterauslage aus Bruchband, Halskrause und Krücken aufgefallen. Er hatte die verzweifelten, von einer irren Hoffnung erfüllten Gesichter der Neger und Negerinnen gesehen, die hineingingen und wieder herauskamen, ohne etwas gekauft zu haben. Mein Großvater hatte diese Verzweiflung erkannt und wusste, dass sein Platz nun, in seiner aufgezwungenen Pensionierung, dort war. Rouletteräder drehten sich vor Lef-tys Augen, als er Richtung West Side raste. Backgammonwürfel klackerten in seinen Ohren, als er aufs Gaspedal trat. Die alte Erregung erhitzte sein Blut, und sein Puls beschleunigte sich, wie er es nicht mehr erlebt hatte, seit er vom Berg herabgestiegen war, um die Seitengassen von Bursa zu erkunden. Er parkte und eilte hinein. Er marschierte vorbei an den verblüfften Kunden (die den Anblick von Weißen dort nicht gewohnt waren), vorbei an den Attrappen von Aspirinfläschchen, Hühneraugenpflastern und Abführmitteln und ging nach hinten zum Apothekerfenster.
    »Was darf s sein?«, fragte der Apotheker.
    »Zweiundzwanzig«, sagte Lefty.
    »Sofort.«
    In dem Versuch, das Drama seiner Glücksspieltage wieder zu beleben,

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