Middlesex
dem unvollendeten Bau auf einer dünnen Matte. Als Traditionalist versagte er sich Fleisch, Alkohol und Süßigkeiten, um seine Seele rein zu halten und die göttliche Eingebung zu empfangen. Selbst sein Pinsel war ganz vorschriftsmäßig aus der Spitze eines Eichhörnchenschwanzes gefertigt. Langsam, über zwei Jahre hinweg, wuchs unsere Hagia Sophia der East Side, nicht weit vom Ford Freeway entfernt. Es gab nur ein Problem. Anders als der Ikonenmaler hatte Bart Skiotis nicht mit reinem Herzen gearbeitet. Es stellte sich heraus, dass er minderwertiges Material verbaut und die verbleibende Summe aufsein Privatkonto geschleust hatte. Er hatte das Fundament fehlerhaft gelegt, sodass es nicht lange dauerte, bis Risse über die Wände liefen und die Wandmalerei entstellten. Auch die Decke leckte.
In diesem minderwertigen Bau der Charlevoix-Kirche, buchstäblich auf wackeligem Boden, wurde ich im orthodoxen Glauben getauft, einem Glauben, den es schon gab, lange bevor der Protestantismus etwas zu protestieren hatte und der Katholizismus sich katholisch nannte, einem Glauben, der bis zu den Anfängen des Christentums zurückreichte, als es noch griechisch und nicht römisch war, und der, da kein Thomas von Aquin ihn verdinglichte, in die Wolke aus Tradition und Mysterium gehüllt blieb, aus der heraus er seinen Anfang genommen hatte. Mein Pate Jimmy Papanikolas hob mich aus den Armen meines Vaters. Er präsentierte mich Father Mike. Lächelnd, weil überglücklich, endlich einmal im Mittelpunkt zu stehen, schnitt Father Mike mir eine Locke ab und warf sie ins Taufbecken. (Dieser Teil des Rituals war, so später mein Verdacht, die Ursache für den Flaum auf der Innenseite unseres Beckens. Jahr um Jahr hatten Babyhaare, von dem lebensspendenden Wasser gedüngt, Wurzeln geschlagen und waren gewachsen.) Nun war Father Mike bereit, mich einzutauchen. »Die Dienerin Gottes, Calliope Helen, wird getauft im Namen des Vaters, amen...«, und er tunkte mich zum ersten Mal hinein. In der orthodoxen Kirche haben wir für das partielle Eintauchen nichts übrig; Besprengen oder Stirnbetupfen, das wollen wir nicht. Um wiedergeboren zu werden, muss man erst begraben sein, also ging's mit mir unter Wasser. Meine Familie sah zu, meine Mutter von Bangigkeit ergriffen (und wenn ich es schluckte?), mein Bruder, der, als keiner hinsah, einen Penny ins Wasser fallen ließ, meine Großmutter, die zum ersten Mal seit Wochen ihren Fächer still hielt. Father Mike zog mich wieder hoch in die Luft - »und des Sohnes, amen« - und tauchte mich ein weiteres Mal ein. Diesmal öffnete ich die Augen. Pleitegeiers Penny blinkte fallend durch die Trübnis. Er sank zum Boden, wo sich, wie ich bemerkte, alles Mögliche angesammelt hatte: andere Münzen beispielsweise, Haarnadeln, ein altes Pflaster. In dem grünen, schmierigen, heiligen Wasser fand ich Frieden. Alles war still. Mein Hals kribbelte an den Seiten, wo die Menschen einstmals Kiemen hatten. Dunkel war mir bewusst, dass dieser Anfang irgendwie auf mein künftiges Leben vorauswies. Meine Familie war bei mir; ich war in Gottes Hand. Aber ich war auch in meinem eigenen, separaten Element, eingetaucht in seltenen Empfindungen, sprengte den Rahmen der Evolution. Dieses Wissen sauste mir durch den Kopf, und schon zog mich Father Mike wieder hoch - »und des Heiligen Geistes, amen...« Noch einmal eintauchen. Wieder ging's hinein und wieder heraus in Licht und Luft. Das dreimalige Eintauchen hatte eine Weile gedauert. Das Wasser war nicht nur trübe, sondern auch warm. Nach dem dritten Hochziehen war ich daher wahrhaftig wiedergeboren: als Brunnen. Zwischen meinen Cherubbeinen hervor schoss ein kristalliner Strahl Flüssigkeit in die Luft. Vom Licht in der Kuppel erleuchtet, fesselte sein gelbes Funkeln aller Aufmerksamkeit. Der Strahl beschrieb einen Bogen. Von einer vollen Blase angetrieben, reinigte er den Rand des Beckens. Und noch bevor mein nouno reagieren konnte, traf er Father Mike mitten ins Gesicht.
Unterdrücktes Lachen von den Bänken, ein paar alte Damen ächzten entsetzt, dann Stille. Blamiert durch sein eigenes partielles Eintauchen - und wie ein Protestant sich abtupfend - , beendete Father Mike die Zeremonie. Er verteilte das Chrisam auf den Fingerspitzen und salbte mich, indem er das Zeichen des Kreuzes auf bestimmte Stellen strich, erst auf die Stirn, dann auf Augen, Nasenlöcher, Mund, Ohren, Brust, Hände und Füße. Jedes Mal, wenn er eine Stelle berührte, sagte er: »Das Siegel
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