Middlesex
der Gabe des Heiligen Geistes.« Zum Schluss erteilte er mir meine Erstkommunion (mit einer Ausnahme: Meine Sünde vergab mir Father Mike nicht.)
»Mein Mädchen natürlich«, krähte Milton auf dem Nachhauseweg. »Hat einen Priester angepisst.«
»Das war Zufall«, beharrte Tessie, noch immer tief rot vor Verlegenheit. »Der arme Father Mike! Darüber kommt er nie hinweg.«
»Das ging ja richtig weit«, staunte Pleitegeier.
In der ganzen Aufregung wunderte sich niemand über die Technik, die mit im Spiel war.
Desdemona nahm die umgekehrte Taufe ihres Schwiegersohns als schlechtes Omen. Schon potenziell verantwortlich für den Schlaganfall ihres Mannes, hatte ich nun auch bei meiner ersten liturgischen Gelegenheit ein Sakrileg begangen. Zudem hatte ich sie gedemütigt, indem ich als Mädchen geboren worden war. »Vielleicht versuchst du ja mal, das Wetter zu raten«, zog Sourmelina sie auf. Mein Vater setzte noch eins drauf: »So viel zu deinem Löffel, Ma. Irgendwie hat er dich hängen lassen.« In Wahrheit stand Desdemona zu jener Zeit unter einem starken Druck, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte: dem Druck, sich zu integrieren. Obgleich sie in Amerika als ewige Exilantin gelebt hatte, als Besucherin auf vierzig Jahre, waren doch gewisse Elemente ihrer Wahlheimat unter der verriegelten Tür ihrer Missbilligung hindurchgekrochen. Als Lefty vom Krankenhaus zurück war, trug mein Vater ein Fernsehgerät in die Mansarde, um ihnen dort oben etwas Zerstreuung zu bieten. Es war ein kleiner Schwarz-weiß-Zenit, der zu vertikalen Bildwechseln neigte. Milton stellte ihn auf einen Nachttisch und ging wieder nach unten. Der Fernseher blieb, lärmend, leuchtend. Lefty rückte sich die Kissen zurecht und sah fern. Desdemo na versuchte, ihre Hausarbeit zu machen, musste aber feststellen, dass auch sie immer häufiger auf den Bildschirm schaute. Autos mochte sie noch immer nicht. Wenn der Staubsauger lief, hielt sie sich die Ohren zu. Aber das Fernsehen war irgendwie anders. Meine Großmutter nahm es sofort an. Es war das Erste und Einzige an Amerika, das sie guthieß. Manchmal vergaß sie, den Apparat auszuschalten, und wachte dann um zwei Uhr morgens auf, als der »Star-Spangled Banner« gespielt wurde, der das Programm beendete.
Das Fernsehen ersetzte das Geräusch des Gesprächs, das im Leben meiner Großeltern nun fehlte. Desdemona sah den ganzen Tag fern, empört über die Liebesgeschichten in Jung und leidenschaftlich. Besonders gefielen ihr Werbespots für Reinigungsmittel - animierte schrubbende Blasen oder rächender Seifenschaum.
Auch das Leben in der Seminole Street leistete seinen Beitrag zum Kulturimperialismus. Sonntags kredenzte Milton seinen Gästen keinen Metaxa, sondern Cocktails. »Getränke, die nach Leuten heißen«, beschwerte sich Desdemona in der Mansarde bei ihrem stummen Ehemann. »Tom Collins. Harvey Wall Bang. Das trinkt man doch! Und Musik hören sie vom, wie heißt das noch, vom Hi-fi. Milton, der macht die Musik an, und sie trinken Tom Collins, und manchmal, also, da tanzen sie, ganz eng, Männer zusammen mit Frauen. Wie Ringen.«
Was war ich für Desdemona anderes als ein weiteres Zeichen für das Ende aller Dinge? Sie versuchte mich nicht anzusehen. Sie versteckte sich hinter ihren Fächern. Dann musste Tessie eines Tages aus dem Haus, und Desdemona war gezwungen, auf mich aufzupassen. Argwöhnisch betrat sie mein Kinderzimmer. Mit vorsichtigen Schritten näherte sie sich meinem Bettchen. Schwarz gewandete Sechzigerin beugte sich hinab, um rosa gewickelten Säugling zu inspizi eren. Vielleicht schlug etwas an meiner Miene in ihr Alarm. Vielleicht zog sie schon jetzt die Parallelen, die sie später ziehen würde, zwischen Dorfbabys und diesem Vorstadtkind, zwischen alten Ammenmärchen und moderner Endokrinologie... Aber vielleicht auch nicht. Denn als sie misstrauisch über das Gitter meines Bettchens spähte, sah sie mein Gesicht - und das Blut intervenierte. Desdemonas besorgtes Gesicht schwebte über meinem (ähnlich) verwirrten. Ihre kummervollen Augen blickten auf meine (ebenso) großen schwarzen Augäpfel hinab. Alles an uns war gleich. Und so hob sie mich hoch, und ich tat das, was Enkelkinder tun sollen: Ich radierte die Jahre zwischen uns aus. Ich gab Desdemona ihre ursprüngliche Haut zurück.
Von da an war ich ihr Liebling. Vormittags entlastete sie meine Mutter, indem sie mich zu sich in die Mansarde nahm. Mittlerweile war Lefty wieder weitgehend zu Kräften gekommen. Trotz
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