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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sich, teilt sich meine Geschichte, erfährt eine Meiose. Schon fühlt die Welt sich schwerer an, da ich ein Teil von ihr geworden bin. Ich rede von Wickelbandagen und durch weichtem Mull, vom Mehltaugeruch im Kino und von verlausten Katzen und ihren stinkenden Katzenklos, vom Regen auf den Straßen der Stadt, wenn der Staub hochgeschwemmt wird und die alten Italiener ihre Klappstühle reinbringen. Bis jetzt war es nicht meine Welt gewesen. Nicht mein Amerika. Aber nun ist es so weit, endlich.
    Das Glück, das die Katastrophe begleitet, währte für Desdemo na nicht lange. Ein paar Sekunden später drehte sie den Kopf zur Brust ihres Mannes - und hörte sein Herz schlagen! Lefty wurde schnellstens ins Krankenhaus gebracht. Zwei Tage danach erlangte er wieder das Bewusstsein. Sein Geist war klar, sein Gedächtnis intakt. Doch als er fragen wollte, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen sei, merkte er, dass er nicht sprechen konnte.
    Julie Kikuchi zufolge ist Schönheit immer abnorm. Gestern, im Cafe Einstein bei Apfelstrudel und Kaffee, wollte sie mir das beweisen. »Sieh dir dieses Model an«, sagte sie und hielt mir eine Modezeitschrift hin. »Diese Ohren! Die gehören doch an einen Marsmenschen.« Sie blätterte. »Oder der Mund von der da. Da könntest du deinen ganzen Kopf reinstecken.«
    Ich versuchte, noch einen Cappuccino zu bestellen. Die Kellner in ihren österreichischen Uniformen ignorierten mich, wie sie es mit jedem tun, und draußen tropften und weinten die gelben Linden.
    »Was zum Beispiel ist mit Jackie O.?«, sagte Julie, ihre These weiter verfechtend. »Ihre Augen standen so weit auseinander, die waren praktisch seitlich am Kopf. Sie sah aus wie ein Hammerhai.«
    Mit dem Vorangegangenen steuere ich auf eine Beschreibung meines Äußeren zu. Babyfotos vom Säugling Calliope zeigen eine Vielfalt eher abnormer Züge. Meine Eltern, die liebevoll in mein Bettchen hinabblickten, waren in jeden einzelnen davon vernarrt. (Manchmal glaube ich, dass es die fesselnde, leicht verstörende Eigenart meines Gesichts war, die jede Aufmerksamkeit von den Komplikationen unten ablenkte.)
    Stellen Sie sich mein Bettchen als ein Diorama in einem Museum vor. Drücken Sie einen Knopf, und meine Ohren leuchten auf wie zwei goldene Trompeten. Drücken Sie einen anderen, und mein energisches Kinn erglüht. Einen anderen, und die hohen, ätherischen Wangenknochen treten aus dem Dunkel. Bis dahin ist die Wirkung nicht verheißungsvoll. So, wie Ohren, Kinn und Wangenknochen aussehen, könnte ich auch ein kleiner Kafka sein. Der nächste Knopf aber illuminiert meinen Mund, und da wird's schon besser. Der Mund ist klein, dafür schön geformt, gut zu küssen, musikalisch. Dann kommt, mitten im Gesicht, die Nase. Mit den Nasen, die Sie von klassischen griechischen Skulpturen kennen, hat sie nichts gemein. Es ist eine Nase, die wie die Seide aus dem Osten nach Kleinasien kam. In diesem Fall aus dem Mittleren Osten. Die Nase des Dioramababys bildet schon, wenn Sie genau hinsehen, eine Arabeske aus. Ohren, Nase, Mund, Kinn - nun die Augen. Sie stehen nicht nur weit auseinander (wie bei Jackie O.), sie sind auch groß. Zu groß für ein Babygesicht. Augen wie die meiner Großmutter. Augen so groß und traurig wie die Augen auf einem Gemälde von Keane. Von so langen, dunklen Wimpern eingerahmte Augen, dass meine Mutter es nicht fassen konnte, dass sie sich in ihrem Inneren gebildet hatten. Wie hatte ihr Körper das so detailliert geschafft? Die Hautfarbe rings um die Augen: ein blasses Olivgrün. Das Haar: pechschwarz. Und nun drücken Sie alle Knöpfe auf einmal. Können Sie mich sehen? Alles von mir? Wahrscheinlich nicht. Das hat eigentlich noch niemand gekonnt.
    Als Baby, sogar noch als kleines Mädchen war ich von einer irritierenden, extravaganten Schönheit. Kein einziges Merkmal in sich stimmig, und dennoch kam, alles in allem, etwas Einnehmendes heraus. Eine Harmonie aus Versehen. Auch eine Unbeständigkeit, als gäbe es unter meinem sichtbaren Gesicht noch ein anderes, das sich seine eigenen Gedanken machte.
    Desdemona interessierte sich nicht für mein Aussehen. Sie beschäftigte sich mit dem Zustand meiner Seele. »Das Baby, das ist zwei Monat alt«, sagte sie im März zu meinem Vater.
    »Warum du lässt es noch nicht taufen?« - »Ich will es gar nicht taufen lassen«, antwortete Milton. »Das ist doch ein einziger Hokuspokus.« -»Hokipoki, so?« Desdemona drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Du glaubst, heilige Tradition,

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