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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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von der Gefahr.
    Vielleicht fühlte sich meine Mutter aber auch sicherer dort, weil die Tür mit der Tapete verschmolz. Was immer der Grund war, wir schleppten einen Koffer voller Lebensrnittel in die Mansarde und blieben drei Tage dort, sahen in dem kleinen Schwarzweißfernseher meiner Großeltern, wie die Stadt brannte. In Hauskleid und Sandalen hielt Desdemona sich ihren Fächer an die Brust, beschirmte sich gegen das Spektakel ihres Lebens, das sich da wiederholte. »O Gott! Ist wie Smyrna! Seht nur die mavrosl Wie die Türken, brennen alles nieder!«
    Es war schwer, ihr diesen Vergleich auszureden. In Smyrna hatten die Menschen ihr Mobiliar zum Kai gebracht; und auch im Fernsehen trugen die Menschen Mobiliar. Männer schleppten nagelneue Sofas aus Geschäften. Kühlschränke schlingerten die Boulevards entlang, ebenso Herde und Geschirrspüler. Und genau wie in Smyrna hatten offenbar alle ihre Kleider eingepackt. Frauen trugen trotz der Julihitze Nerz. Männer probierten im Laufen neue Anzüge an. »Smyrna! Smyrna! Smyrna!«, jammerte Desdemona immerzu, und ich hatte in meinen sieben Jahren schon so viel über Smyrna gehört, dass ich wie gebannt auf die Mattscheibe starrte, um zu sehen, wie es gewesen war. Doch ich begriff es nicht. Sicher, Häuser brannten, Leichen lagen auf der Straße, aber es herrschte keine Verzweiflung. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht so glückliche Menschen gesehen. Männer spielten auf Instrumenten, die sie aus einem Musikgeschäft geholt hatten. Andere reichten Whiskeyflaschen durch ein geborstenes Fenster und ließen sie herumgehen. Es war eher ein Straßenfest als ein Krawall.
    Bis zu jener Nacht konnte man die Grundeinstellung unseres Viertels gegenüber unseren farbigen Mitbürgern in dem zusammenfassen, was Tessie sagte, nachdem sie Sidney Poitier in Herausgefordert gesehen hatte, der einen Monat vor den Krawallen in die Kinos gekommen war. Sie sagte: »Siehst du, wenn sie wollen, können sie ganz normal sprechen.« So dachten wir. (Sogar ich damals, ich leugne es nicht, weil wir alle Kinder unserer Eltern sind.) Wir waren bereit, die Neger zu akzeptieren. Wir hatten keine Vorurteile gegen sie. Wir wollten sie in unsere Gesellschaft integrieren, wenn sie sich nur normal verhalten würden!
    Mit ihrer Unterstützung für Johnsons »Great Society«, mit ihrem Applaus zu Herausgefordert zeigten unsere Nachbarn und Verwandten ihren gut gemeinten Glauben, dass die Neger vollkommen in der Lage seien, genau wie Weiße zu sein - aber was war dann das?, fragten sie sich, als sie die Bilder im Fernsehen sahen. Warum trugen die jungen Leute da ein Sofa über die Straße? Würde sich Sidney Poitier jemals ein Sofa oder ein großes Küchengerät aus einem Geschäft nehmen, ohne dafür zu bezahlen? Würde er so vor einem brennenden Haus tanzen? »Nicht den mindesten Respekt vor Privateigentum«, schrie Mr. Benz, der nebenan wohnte. Und seine Frau Phyllis: »Wo wollen sie denn wohnen, wenn sie ihr ganzes Viertel niederbrennen?« Nur Tante Zo schien Verständnis aufzubringen: »Also, ich weiß nicht. Wenn ich die Straße langgehen würde und da läge plötzlich ein Nerzmantel einfach so vor mir, ich würde den vielleicht auch mitnehmen.« - »Zoe!« Father Mike war schockiert. »Das ist doch Diebstahl!« - »Ach, was ist kein Diebstahl, wenn man's sich mal überlegt. Das ganze Land ist doch geklaut.«
    Drei Tage und zwei Nächte warteten wir in der Mansarde auf ein Lebenszeichen von Milton. Die Brände hatten den Telefondienst lahm gelegt, und als meine Mutter im Restaurant anrufen wollte, erhielt sie als Antwort nur eine Bandansage mit der Stimme einer Telefonistin.
    Drei Tage lang verließ niemand die Mansarde außer Tessie, die hinunterrannte, um aus unseren sich leerenden Regalen Essen zu holen. Wir sahen die Zahl der Toten steigen.
    1. Tag: Tote - 15. Verletzte - 500. Geplünderte Geschäfte 1000. Brände - 800.
    2. Tag: Tote - 27. Verletzte - 700. Geplünderte Geschäfte - 1500. Brände -1000.
    3. Tag: Tote - 36. Verletzte -1000. Geplünderte Geschäfte - 1700. Brände -1163.
    Drei Tage lang sahen wir uns die Aufnahmen der Opfer an, die im Fernsehen gezeigt wurden. Mrs. Sharon Stone, von einem Heckenschützen getroffen, als sie an einer roten Ampel hielt. Carl E. Smith, ein Feuerwehrmann, von einem Heckenschützen erschossen, als er ein Feuer bekämpfte.
    Drei Tage lang sahen wir mit an, wie die Politiker zögerten und stritten: Der republikanische Gouverneur George Romney

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