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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sich in jenem Augenblick zwischen zwei Elementen: hier Erregung, da Furcht. Ich versuchte, aufmerksam zu sein. Ich versuchte, mich zu behaupten. Aber Clementine war mir weit voraus. Sie schwenkte den Kopf herum wie eine Schauspielerin im Film. Ich tat es ihr nach, aber sie schalt mich aus dem Mundwinkel: »Du bist der Mann.« Also hörte ich auf damit. Ich stand steif da, die Arme an den Seiten. Schließlich brach Clementine den KUSS ab. Sie sah mich einen Augenblick lang leer an und meinte dann: »Nicht schlecht fürs erste Mal.«
    »Mo-om!«, schrie ich, als ich am Abend nach Hause kam. »Ich hab eine Freundin!« Ich erzählte Tessie von Clementine, den alten Teppichen an der Wand, der hübschen Mutter mit ihren Übungen und ließ nur den Küssunterricht weg. Von Anfang an war mir bewusst, dass dem, was ich für Clementine empfand, etwas Ungehöriges anhaftete, etwas, was ich meiner Mutter nicht sagen sollte, aber ich hätte es auch gar nicht benennen können. Mit Sex verband ich die Empfindung nicht. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab. »Darf ich sie zu mir einladen?«
    »Natürlich«, sagte Tessie, erleichtert darüber, dass meine Einsamkeit im Viertel vorbei war.
    »Bestimmt hat sie noch nie ein Haus wie unseres gesehen.« Ein kühler, grauer Oktobertag ungefähr eine Woche später. Hinten aus einem gelben Haus treten zwei Mädchen, die Geisha spielen. Wir haben uns die Haare hochgeschlungen und Stäbchen von einem Imbiss über Kreuz hineingesteckt. Wir tragen Sandalen und Seidentücher. Wir haben Regenschirme und tun so, als seien es Sonnenschirme. Ich kenne ein bisschen vom Flower Drum Song, den ich, als wir den Garten durchqueren und die Stufen zum Badehaus hinaufsteigen, singe. Wir gehen durch die Tür, ohne die dunkle Gestalt in der Ecke zu bemerken. Innen ist das Bad ein leuchtendes, sprudelndes Türkis. Seidenroben fallen auf den Boden. Zwei kichernde Flamingos, der eine hellhäutig, der andere leicht oliv, prüfen das Wasser mit jeweils einem Zeh. »Es ist zu heiß.« - »So soll es aber sein.« - »Du zuerst.« - »Nein, du.« - »Na gut.«
    Und dann: Hinein. Wir beide. Es riecht nach Redwood und Eukalyptus. Nach Sandelholzseife. Clementine kleben die Haare am Schädel. Ihr Fuß erscheint hin und wieder überm Wasser wie eine Haifischflosse. Wir lachen, lassen uns treiben, verschwenden die Badeperlen meiner Mutter. Dampf steigt so dicht vom Wasser auf, dass er die Wände verhüllt, die Decke, die dunkle Gestalt in der Ecke. Ich betrachte meine Füße, versuche zu begreifen, was es bedeutet, dass es »Senkfüße« sind, als Clementine im Bruststil auf mich zuschwimmt. Ihr Gesicht taucht aus dem Dampf auf. Ich glaube, dass wir uns gleich wieder küssen, aber stattdessen legt sie mir die Beine um die Taille. Sie lacht hysterisch, hält sich dabei den Mund zu. Ihre Augen werden groß, und sie flüstert mir ins Ohr: »Mach's dir bequem.« Sie brüllt wie ein Affe und zieht mich auf ein Brett im Becken. Ich falle zwischen ihre Beine, ich falle auf sie drauf, wir sinken... und dann wirbeln wir herum, drehen uns im Wasser, ich oben, dann sie, dann ich, und kichern, schreien wie Vögel. Dampf nebelt uns ein, bekleidet uns, Licht funkelt auf dem aufgewühlten Wasser, und wir drehen uns weiter, sodass ich auf einmal nicht mehr weiß, welche Hände, welche Beine meine sind. Wir küssen uns nicht. Dieses Spiel ist viel weniger ernst, viel spielerischer, freizügiger, aber wir halten einander gepackt, wollen den glitschigen Körper der anderen nicht fortlassen, und unsere Knie stoßen zusammen, unsere Bäuche klatschen aneinander, unsere Hüften gleiten vor und zurück. Verschiedene untergetauchte Weichheiten an Clementines Körper übermitteln wesentliche Informationen an meine, Informationen, die ich abspeichere und erst viele Jahre später verstehe. Wie lange wirbeln wir herum? Ich habe keine Ahnung. Aber irgendwann werden wir müde. Clementine zieht sich auf das Brett, ich hinterher. Ich stemme mich auf die Knie, um mich zu orientieren - und erstarre, trotz des heißen Wassers. Denn da in der Ecke des Raums sitzt - mein Großvater! Ich sehe ihn einen kurzen Augenblick, er ist zur Seite geneigt -lacht er?, ist er böse? -, und schon steigt wieder Dampf auf und verdeckt ihn.
    Ich bin zu gelähmt, um mich zu rühren oder zu sprechen. Wie lange ist er schon da? Was hat er gesehen? »Wir machen bloß Wasserballett«, sagt Clementine lahm. Der Dampf teilt sich erneut. Lefty hat sich nicht bewegt. Er sitzt genau

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