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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Unterhose!«
    »Hör sofort auf damit.«
    »Komm, Tessie, nimm Callies Bein. Los bei drei. Eins, zwei, drei!«
    Wir richteten uns, mit unseren diversen Bedenken, ein. Nach dem Zwischenfall mit der pneumatischen Tür hatte Desdemona die dunkle Ahnung, dass dieses Haus mit seinen modernen Annehmlichkeiten (tatsächlich war es beinahe so alt wie sie selbst) das letzte sein könnte, in dem sie wohnen würde. Sie zog mit den Überresten ihrer und Leftys Habe - dem messingnen Couchtisch, der Seidenraupenkiste, dem Porträt des Patriarchen Athenagoras - ins Gästehaus, aber nie konnte sie sich an das Oberlicht gewöhnen, das wie ein Loch in der Decke war, oder an den pedalbetriebenen Wasserhahn im Badezimmer oder das sprechende Kästchen an der Wand. (Jedes Zimmer in der Middlesex war mit einer Haussprechanlage ausgerüstet. In den vierziger Jahren, als sie eingebaut worden war, also über dreißig Jahre nach dem Bau des Hauses 1909, hatten die Kästchen wohl noch alle funktioniert. Wenn man aber 1967 in der Küche hineinsprach, kam die Stimme nur im Elternschlafzimmer heraus. Die Lautsprecher verzerrten unsere Stimmen so sehr, dass man schon genau hinhören musste, um zu verstehen, was gesagt wurde, als musste man das erste Gebrabbel eines Kindes entschlüsseln.)
    Pleitegeier zapfte das pneumatische System im Keller an und verbrachte Stunden damit, durch das Netz aus Staubsaugerschläuchen einen Tischtennisball im ganzen Haus herumzuschicken. Tessie beschwerte sich unablässig über den fehlenden Stauraum und den unpraktischen Grundriss, aber nach und nach sah sie, dank einer kleinen Neigung zur Klaustrophobie, auch die Vorteile der Glaswände.
    Lefty putzte sie. Wie immer wollte er sich nützlich machen und nahm daher die Sisyphusarbeit auf sich, all die modernistischen Flächen am Funkeln zu halten. Mit derselben Konzentration, mit der er den Aorist der altgriechischen Verben übte - eine Zeitform so voller Überdruss, dass sie Handlungen bezeichnete, die möglicherweise nie beendet sein würden -, putzte Lefty nun die riesigen Panoramafenster, das Mattglas des Gewächshauses, die Schiebetüren, die in den Garten führten, und sogar die Oberlichter. Er wienerte das neue Haus, Pleitegeier und ich erforschten es. Oder vielleicht sollte ich »die Häuser« sagen. Der besinnliche, pastellgelbe Würfel, der zur Straße hinausging, barg die wesentlichen Wohnbereiche. Dahinter lag ein Garten mit einem trockenen Pool und einem zerbrechlichen Hartriegelstrauch, der sich vergebens vorbeugte, um sein Spiegelbild zu sehen. Am westlichen Rand dieses Gartens verlief von der Küche aus ein weißer, durchscheinender Tunnel, vergleichbar mit den Röhren, die Footballmannschaften aufs Spielfeld geleiten. Dieser Tunnel führte zu einem kleinen überkuppelten Außengebäude - einer Art Rieseniglu -, den eine überdachte Veranda umgab. Im Innern war ein Badebecken (das sich gerade aufwärmt, sich bereitmacht, eine Rolle in meinem Leben zu spielen). Hinter dem Badehaus war noch eine weitere Fläche, ausgelegt mit glatten schwarzen Steinen. An deren östlichem Rand verlief, als Entsprechung zum Tunnel, ein Portikus mit dünnen braunen Eisenträgern. Der Portikus führte zum Gästehaus, in dem nie Gäste wohnten: nur Desdemona, für kurze Zeit mit ihrem Mann und lange Zeit allein.
    Für ein Kind aber wichtiger: Die Middlesex hatte jede Menge turnschuhbreite Leisten, auf denen man balancieren konnte. Es gab tiefe Fensterschächte aus Beton, die sich hervorragend dazu eigneten, in Forts verwandelt zu werden. Es gab Sonnendecks und Laufstege. Pleitegeier und ich kletterten in der ganzen Middlesex herum. Lefty putzte die Fenster, und fünf Minuten später kamen mein Bruder und ich des Wegs, lehnten uns gegen das Glas und hinterließen Fingerabdrücke. Und wenn er sie sah, lächelte unser hoch gewachsener, stummer Großvater, der in einem anderen Leben Professor hätte sein können, in diesem aber nur einen nassen Lappen und einen Eimer hielt, und putzte die Fenster einfach wieder von vorn.
    Obwohl er nie ein Wort zu mir sagte, liebte ich meinen chapli nesken papou. Seine Sprachlosigkeit hatte etwas Vornehmes. Sie passte zu seiner eleganten Kleidung, seinen Schuhen mit dem geflochtenen Vorderblatt, dem Schimmer seines Haars. Und dennoch war er überhaupt nicht steif, sondern verschmitzt, ja sogar komödiantisch. Wenn er mich auf eine Spazierfahrt mitnahm, tat Lefty häufig so, als sei er am Steuer eingeschlafen. Auf einmal fielen ihm die Augen zu,

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