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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Wissenschaften zu unterrichten und in ihnen eine Liebe zur Gelehrsamkeit, ein bescheidenes Wesen, eine liebenswerte Anmut und insbesondere ein Interesse an den Bürgerpflichten auszubilden«. Die beiden Frauen hatten zusammen, am hinteren Ende des Campus, in »The Cottage« gelebt, einer schindelgedeckten Laube, die in der Schulmythologie einen ähnlichen Stellenwert besaß wie Lincolns Blockhütte in der Nationalgeschichte. Jedes Frühjahr wurden die Fünftklässler darin herumgeführt. Sie marschierten hintereinander durch die beiden Schlafzimmer (die ihnen vielleicht etwas vorgaukelten), vorbei an den Schreibtischen der Gründerinnen, noch immer mit Füllfederhaltern und Lakritzbonbons versehen, und dem Grammophon, auf dem sie ihre Sousaphonmärsche spielten. Die Geister von Miss Baker und Miss Inglis waren in der Schule immer präsent, ergänzt von Büsten und Porträts. Eine Statue auf dem Hof zeigte die bebrillten Erzieherinnen in launiger, frühlingshafter Stimmung, Miss Baker mit einer päpstlichen Gebärde, als wollte sie die Luft segnen, Miss Inglis (stets die Passive) zu ihr hingedreht, um zu sehen, worauf ihre Kollegin sie aufmerksam machte. Miss Inglis' Schlapphut verdeckte ihre schlichten Züge. Das einzig Avantgardistische an dem Werk war ein dicker Draht, der aus Miss Bakers Haupt herausragte und an dessen Ende der Gegenstand des Staunens schwebte: ein Kolibri.
    ... All das wurde von dem wirbelnden Hockeyball geweckt. Aber noch etwas anderes war da, etwas Persönlicheres, das erklärte, warum gerade ich das Ziel war. Wieso stand Calliope überhaupt im Tor? Warum war sie mit Maske und Schützern beladen? Warum brüllte Coach Stork, sie solle den Ball halten?
    Die Antwort ist einfach: Ich war nicht besonders gut im Sport. Softball, Basketball, Tennis: In allem war ich eine absolute Null. Feldhockey war noch schlimmer. Ich konnte mich nicht an die komischen Stöckchen oder die nebulösen europäischen Taktiken gewöhnen. Da wir zu wenig Spielerinnen hatten, stellte Coach Stork mich ins Tor und hoffte das Beste. Es trat selten ein. In ihrem mangelnden Teamgeist behaupteten einige Wolverettes, ich hätte Koordinationsschwierigkeiten. War dieser Vorwurf berechtigt? Besteht eine Verbindung zwischen meiner jetzigen Schreibtischtätigkeit und einem Mangel an körperlichem Geschick? Ich habe nicht vor, das zu beantworten. Aber zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass keine meiner athletischeren Teamkolleginnen einen so problematischen Körper bewohnte. Sie hatten nicht wie ich zwei Hoden, die illegal in ihren Leistenkanälen hockten. Ohne mein Wissen hatten diese Anarchisten sich in meinem Abdomen eingenistet und waren sogar an die Grundversorgung angeschlossen. Wenn ich ein Bein falsch über das andere schlug oder mich zu schnell bewegte, stach mir ein Schmerz in die Leistengegend. Auf dem Hockeyplatz krümmte ich mich oft, Tränen schossen mir in die Augen, aber Coach Stork klopfte mir auf den Hintern. »Ist bloß ein Krampf, Stephanides. Lauf ihn raus.« (Und jetzt, als ich mich bewegte, um den Schlagschuss abzuwehren, kam genau so ein Schmerz. Meine Gedärme zuckten, ein Lavastrom Schmerz eruptierte. Ich beugte mich vor und stolperte über meinen Hockeystock. Und dann taumelte ich, fiel...)
    Aber noch ist Zeit, ein paar weitere körperliche Verände rungen festzuhalten. Zu Beginn der siebten Klasse bekam ich eine Zahnspange, das volle Programm. Nun hielten Gummi bänder meinen oberen und unteren Gaumen zusammen. Mein Kiefer war gefedert wie bei einer Bauchrednerpuppe. Jeden Abend vor dem Zubettgehen legte ich pflichtschuldig mein mittelalterliches Kopfgestell an. Aber während meine Zähne da im Dunkeln langsam zur Geradheit gezwungen wurden, hatte mein Gesicht begonnen, einer stärkeren, genetischen Prädisposition zur Krummheit nachzugeben. Um Nietzsche zu paraphrasieren, gibt es zwei Typen des Griechen: den Apollonier und den Dionysier. Ich war als Apollonier geboren worden, als sonnengeküsstes Mädchen mit lockenumrahmtem Gesicht. Aber als ich mich der Dreizehn näherte, stahl sich ein dionysisches Element in meine Züge. Meine Nase, anfangs zart, dann nicht mehr so zart, begann sich zu wölben. Meine Augenbrauen wurden struppiger und wölbten sich ebenfalls. Etwas Sinistres, Verschlagenes, buchstäblich »Satyrhaftes« gelangte in meinen Ausdruck.
    Und so war das Letzte, was der Hockeyball (der nun näher kam, fest entschlossen, nicht noch mehr an Exposition zu dulden) - war das Letzte, was der

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