Middlesex
folgten? Wie alle anderen auch war ich, statt das Endresultat von Sophie Sassoons Make-up-Künsten zu bewerten, von deren Zusammenspiel beeindruckt. Ich wusste ebenso gut wie meine Mutter und die übrigen Damen, dass Sophie Sassoon jeden Morgen nicht weniger als eine Stunde und fünfundvierzig Minuten brauchte, um »ihr Gesicht aufzulegen«. Sie musste Augencremes und Unteraugencremes einmassieren. Sie musste mehrere Schichten auftragen, als lackierte sie eine Stradivari. Zusätzlich zu der ziegelfarbenen Oberschicht gab es noch andere: Grüntupfer, um das Rot zu bändigen, Pinktöne, um ein wenig zu erröten, blaue über den Augen. Sie benutzte festen Eyeliner, flüssigen Eyeliner, Lippenkonturstift, Lip-pen- Conditioner, einen mattierten Aufheller und einen Porenab deckstift. Sophie Sassoons Gesicht: Es war erschaffen mit der Präzision eines Sandbildes, das Körnchen um Körnchen von tibetanischen Mönchen geblasen wurde. Es hielt nur einen Tag, dann war es weg.
Dieses Gesicht sagte nun zu uns: »Hier entlang bitte, meine Damen.« Sophie war herzlich wie stets, liebevoll wie stets. Ihre Hände, jeden Abend mit Nachtcreme bearbeitet, umflatterten uns, streichelten, rieben. Ihre Ohrringe sahen aus wie etwas, was Schliemann in Troja ausgegraben hatte. Sie führte uns an einer Reihe Frauen vorbei, die frisiert wurden, durch ein stickiges Haartrockner-Ghetto und schließlich durch einen blauen Vorhang. Vorn im Golden Fleece richtete Sophie die Haare, hinten entfernte sie sie. Hinter dem blauen Vorhang boten halb nackte Frauen Teile ihrer selbst dem Wachs dar. Eine kräftige Frau lag auf dem Rücken, die Bluse bis über den Nabel hochgezogen. Eine andere lag auf dem Bauch und las eine Zeitschrift, während Wachs auf der Rückseite ihrer Oberschenkel trocknete. Eine Frau saß in einem Sessel, Wangen und Kinn mit dunkelgoldenem Wachs be-strichen, und da waren zwei schöne junge Frauen, die nackt von der Taille an abwärts dalagen und sich ihre Bikinizonen machen ließen. Der Geruch des Bienenwachses war kräftig, angenehm. Es herrschte eine Atmosphäre wie in einem türkischen Bad, nur dass die Hitze fehlte, alles verströmte etwas Träges, Drapiertes, über Wachstöpfen ringelte sich Dampf.
»Ich will mir bloß das Gesicht machen lassen«, sagte ich zu Sophie.
»Das klingt ja so, als müsste sie's selbst bezahlen«, scherzte Sophie mit meiner Mutter.
Meine Mutter lachte, und die anderen Frauen fielen ein. Alle sahen lächelnd zu uns her. Ich war gerade aus der Schule gekommen und trug noch meine Uniform.
»Sei froh, dass es bloß das Gesicht ist«, sagte eine der Bikinizonen.
»In ein paar Jahren«, sagte die andere, »könnte es Richtung Süden gehen.«
Gelächter. Zwinkern. Zu meinem Erstaunen sogar ein verschlagenes Grinsen, das sich auf dem Gesicht meiner Mutter ausbreitete. Als wäre Tessie hinter dem Vorhang ein anderer Mensch. Als könnte sie mich, da wir nun gemeinsam gewachst wurden, wie eine Erwachsene behandeln.
»Sophie, vielleicht können Sie Callie überreden, sich die Haare schneiden zu lassen«, sagte Tessie.
»Ist schon ein wenig buschig, Schatzi.« Sophie war da ganz offen. »Für deine Gesichtsform.«
»Nur Wachs, bitte«, sagte ich.
»Sie will einfach nicht hören«, sagte Tessie.
Eine Ungarin (von den Außenrändern des Haargürtels) spielte die Gastgeberin. Mit Jimmy Papanikolas' Schnellimbiss- Effizienz verteilte sie uns im Zimmer wie Speisen auf einem Grill: in eine Ecke die kräftige Frau, so rosa wie ein Stück kanadischer Schinken, am unteren Ende Tessie und mich, zusammengeklumpt wie Bratkartoffeln, nach links hin die Bikinifrauen, schön kross. Helga hielt uns alle am Brutzeln. Mit ihrem Aluminiumtablett ging sie von einem Körper zum nächsten, schöpfte mit einem flachen Holzlöffel dorthin, wo es nötig war, ahornsirupfarbenes Wachs und drückte Gazestreifen hinein, bevor es hart wurde. Als die kräftige Frau auf der einen Seite fertig war, wendete Helga sie. Tessie und ich lagen in unseren Sesseln und hörten mit an, wie Wachs gewaltsam entfernt wurde. »O nein!«, schrie die kräftige Frau. »Nix schlimm«, wiegelte Helga ab. »Ich mach das perfekt.« - »Auaaa!«, japste die eine Bikinizone. Und Helga nahm eine seltsam feministische Haltung ein: »Sehn Sie, was Sie tun für die Männern? Sie leiden. Ist nicht wert.«
Nun kam Helga zu mir. Sie fasste mich am Kinn und drehte meinen Kopf prüfend hin und her. Sie strich mir Wachs über die Oberlippe. Dann ging sie zu meiner
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