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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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männlichen Sekundärmerkmale ausgebildet waren, noch bevor in den Fluren über mich getuschelt wurde und Mädchen es sich zweimal überlegten, ob sie den Kopf auf meinen Schoß legen sollten - in der siebten Klasse also, als ich noch nicht krause, sondern schimmernde Haare hatte und meine Wangen noch glatt, meine Muskeln nicht entwickelt waren, strahlte ich etwa durch die Art, wie ich meinen Radiergummi hochwarf und wieder auffing oder wie ich mit dem Löffel im Sturzflug auf den Nachtisch von anderen losging oder durch meine intensiv gerunzelte Stirn oder meinen Eifer, über alles und jeden in der Schule zu diskutieren, unsichtbar, aber unmissverständlich eine Art Männlichkeit aus; als ich, noch bevor ich mich verändert hatte, in der Veränderung begriffen war, war ich an meiner neuen Schule recht beliebt.
    Aber dieses Stadium währte kurz. Bald verlor mein Kopfgestell seinen nächtlichen Kampf gegen die Mächte der Krummheit. Apollo ergab sich Dionysos. Schönheit hat vielleicht immer etwas ein klein wenig Abnormes, aber in dem Jahr, in dem ich dreizehn wurde, wurde ich abnormer denn je.
    Nehmen wir das Jahrbuch. Auf dem Foto des Feldhockeyteams, das im Herbst entstand, kauere ich, auf ein Knie gestützt, in der vorderen Reihe. Auf dem der Klassen vertreter, aufgenommen im Frühling, stehe ich gebückt in der hinteren. Mein Gesicht ist von Befangenheit verschattet. (In all den Jahren trieb mein unablässig verwirrter Gesichtsausdruck die Fotografen in den Wahnsinn. Er ruinierte Klassenfotos und Weihnachtskarten, bis ich das Problem auf den Bildern, die eine besonders große Verbreitung erfahren sollten, schließlich dadurch löste, dass ich mein Gesicht ganz verbarg.)
    Falls Milton darunter litt, keine hübsche Tochter zu haben, habe ich es nie erfahren. Bei Hochzeiten forderte er mich weiterhin zum Tanzen auf, egal, wie lächerlich wir zusammen aussahen. »Komm schon, koukla«, sagte er, »schwingen wir die Hufe«, und dann ging es los, der gedrungene, füllige Vater, der mit selbstbewussten, altmodischen Foxtrottschritten führte, und seine linkische Gottesanbeterin von einer Tochter, die mitzuhalten versuchte. Die Liebe meiner Eltern zu mir nahm durch mein Aussehen nicht ab. Aber ich glaube, man muss wohl sagen, dass die Liebe meiner Eltern im Zuge meiner äußerlichen Veränderung ein Hauch von Traurigkeit befiel. Sie machten sich Sorgen, dass Jungen sich nicht für mich interessieren könnten, dass ich ein Mauerblümchen würde, wie Tante Zo. Manchmal, wenn wir tanzten, straffte Milton die Schultern und blickte drohend über die Tanzfläche, so als wollte er allen sagen, dass sie sich ihre Witze sparen sollten.
    Als Antwort auf all das Wachsende ließ ich mir die Haare wachsen. Mochte der ganze Rest an mir auch mit dem Kopf durch die Wand wollen, meine Haare blieben unter meiner Kontrolle. Und wie Desdemona nach ihrer katastrophalen Umgestaltung bei der YWCA lehnte ich es rundweg ab, dass jemand sie mir schnitt. Die gesamte siebte Klasse bis hinein in die achte ließ ich mich nicht beirren. Während Studenten gegen den Krieg marschierten, protestierte Calliope gegen Haarschneidemaschinen. Während Bomben heimlich über Kambodscha abgeworfen wurden, tat Callie, was sie konnte, um ihre eigenen Geheimnisse zu hüten. Im Frühjahr 1973 war der Krieg offiziell zu Ende. Im August des Folgejahres sollte Präsident Nixon aus dem Amt scheiden. Rockmusik wich Disco. Im ganzen Land wandelten sich die Frisuren. Aber Calliopes Schädel glaubte wie ein Mittelwestler, der immer hinter der Mode herlief, es seien nach wie vor die Sechziger.
    Meine Haare! Meine unglaublich üppigen, dreizehn Jahre alten Haare! Hat es bei einer Dreizehnjährigen schon mal so einen Haarschopf gegeben? Hat schon einmal ein Mädchen so viele Rohrreiniger aus ihren Lieferwagen herbeizitiert? Monatlich, wöchentlich, halbwöchentlich waren die Abflüsse in unserem Haus verstopft. »Herrgott«, klagte Milton, während er wieder einen Scheck ausschrieb, »du bist schlimmer als diese verdammten Baumwurzeln.« Haare wie ein Büschel Steppenläufer, das durch die Zimmer in der Middlesex wehte. Haare wie ein schwarzer Tornado, der durch eine Amateurwochenschau wirbelte. So unermesslich viele Haare, dass es schien, als hätten sie ihr eigenes Klima, denn meine trockenen Splissenden knisterten von statischer Elektrizität, wohingegen die Atmosphäre weiter drinnen, an der Kopfhaut, warm und feucht war wie ein Regenwald. Desdemonas Haar war lang und

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