Middlesex
ich zu tun.«
Am Samstagvormittag kam Pleitegeiers Freundin. Meg Zemka war so klein wie meine Mutter und so flachbrüstig wie ich. Ihre Haare waren mausbraun, ihre Zähne einer ärmlichen Kindheit wegen nicht gut gepflegt. Sie war ein Stromer, ein Waisenkind, ein Zwerg mit sechsmal so viel Power wie mein Bruder.
»Was studieren Sie am College, Meg?«, fragte mein Vater beim Essen.
»Pol. Wi.«
»Das klingt aber interessant.«
»Vermutlich werden Sie meine Richtung nicht mögen. Ich bin Marxistin.«
»Ach, tatsächlich?«
»Sie haben einen Haufen Restaurants, stimmt's?«
»Ganz genau. Hercules Hot Dogs. Haben Sie schon mal einen gegessen? Wir müssen mit Ihnen mal in einen der Läden gehen.«
»Meg isst doch kein Fleisch«, erinnerte ihn meine Mutter.
»Ja, richtig, hab ich vergessen«, sagte Milton. »Na, dann essen Sie eben Pommes. Wir haben auch Pommes.«
»Was bezahlen Sie Ihren Arbeitern?«, fragte Meg.
»Denen hinterm Tresen? Die kriegen den Mindestlohn.«
»Und Sie wohnen hier in diesem großen Haus in Grosse Pointe.«
»Weil ich das ganze Unternehmen leite und das Risiko trage.«
»Für mich hört sich das nach Ausbeutung an.«
»So.« Milton lächelte. »Na, wenn Jemandem-einen-Job- Geben Ausbeutung ist, dann bin ich wohl ein Ausbeuter. Bis ich das Geschäft hochgezogen habe, hat's diese Jobs gar nicht gegeben.«
»Das ist so, als würde man sagen, die Sklaven hatten keine Jobs, bis sie auf den Plantagen arbeiteten.«
»Da hast du aber ein echtes Energiebündel«, sagte Milton, an meinen Bruder gewandt. »Wo hast du sie gefunden?«
»Ich hab ihn gefunden«, sagte Meg. »Auf einer Fahrstuhlkabine.«
Und so erfuhren wir, wie Pleitegeier seine Zeit am College verbrachte. Sein liebster Zeitvertreib war es, das Deckenpaneel des Fahrstuhls im Wohnheim abzuschrauben und hinaufzuklettern. Da saß er dann stundenlang und fuhr im Finstern auf und ab.
»Beim ersten Mal«, gestand Pleitegeier nun, »fuhr die Kabine bis ganz nach oben. Ich dachte, vielleicht werde ich zerquetscht. Aber sie haben dort einen Zwischenraum gelassen.«
»Und dafür bezahlen wir dir deine Studiengebühren?«, fragte Milton.
»Es entspricht genau dem, was Sie aus Ihren Arbeitern rauspressen«, sagte Meg.
Tessie brachte Pleitegeier und Meg in verschiedenen Zimmern unter, aber mitten in der Nacht wurde im Dunkeln viel auf Zehenspitzen herumgeschlichen und gekichert. In dem Versuch, mir die große Schwester zu sein, die ich nie hatte, schenkte Meg mir ein Exemplar von Unser Körper, unser Leben.
Auch Pleitegeier, mitgerissen von der sexuellen Revolution, versuchte mich zu erziehen.
»Hast du schon mal masturbiert, Cal?«
»Was!«
»Das braucht dir nicht peinlich zu sein. Ist ganz natürlich. Mir hat ein Freund erzählt, man kann es mit der Hand machen. Also bin ich ins Bad...«
»Ich will davon nichts...«
»... und hab's ausprobiert. Und auf einmal haben sich alle Muskeln in meinem Penis zusammengezogen...«
»In unserem Badezimmer?«
»... und dann hab ich ejakuliert. Das war echt Wahnsinn. Das solltest du mal probieren, Cal, wenn du's nicht schon getan hast. Bei Frauen ist es ein bisschen anders, aber physiologisch so ziemlich dasselbe. Also, Penis und Klitoris sind analoge Strukturen. Musst eben experimentieren und sehen, was geht.«
Ich steckte mir die Finger in die Ohren und fing an zu summen.
»Bei mir brauchst du keine Komplexe zu haben«, sagte Pleitegeier laut. »Ich bin doch dein Bruder.«
Die Rockmusik, die Verehrung für Maharishi Mahesh Yogi, die Avocadokerne, die auf der Fensterbank Wurzeln trieben, die re genbogenfarbenen Papierblättchen. Was noch? Ah ja, mein Bruder benutzte kein Deo mehr»Du stinkst!«, protestierte ich eines Tages, als ich neben ihm im Fernsehzimmer saß.
Pleitegeier zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Ich bin ein Mensch«, sagte er. »So riechen Menschen eben.«
»Dann stinken Menschen eben.«
»Findest du, ich stinke, Meg?«
»Überhaupt nicht«, sagte sie und wühlte sich in seine Achselhöhle. »Das macht mich scharf.«
»Könnt ihr vielleicht mal abhauen? Ich will diese Sendung sehen.«
»He, Süße, meine kleine Schwester will, dass wir verduften. Was hältst du von 'ner kleinen Nummer?«
»Groovy.«
»Bis dann, Schwesterchen. Wir sind dann oben in flagrante delicto.«
Wo konnte das alles hinführen? Nur zu Familienzwistigkeiten, Brüllgefechten, gebrochenen Herzen. An Silvester, als Milton und Tessie mit Gold Duck auf das neue Jahr anstießen, kippten
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