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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Badezimmer, um es ihr zu zeigen. In der klauen füßigen Wanne räkelt sich unter einer Schicht Schlagsahne, eine Ferse bimsend, das Objekt.
    Sie betrachtet das Foto und sagt: »Du bist auch nie nackt.« Ich erstarre, bin sprachlos.
    »Hast du so eine Art Komplex?«
    »Nein, ich habe keinen Komplex.«
    »Wovor hast du dann Angst?«
    »Ich habe keine Angst.«
    Das Objekt weiß, dass das nicht stimmt. Aber sie hat keine bösen Absichten. Sie versucht nicht, mich reinzulegen, will mich nur beruhigen. Meine Bescheidenheit verblüfft sie.
    »Ich weiß nicht, was dich so beklommen macht«, sagt sie.
    »Du bist doch meine beste Freundin.«
    Ich gebe vor, in die Zeitschrift vertieft zu sein. Ich schaffe es nicht, davon aufzublicken. Innerlich aber platze ich vor Glück. Ich explodiere vor Freude, aber ich stiere weiter auf die Zeitschrift, als wäre ich wütend auf sie.
    Es ist spät. Wir sind lange aufgeblieben und haben fernge sehen. Das Objekt putzt sich die Zähne, als ich ins Badezimmer komme. Ich ziehe die Unterhose herunter und setze mich auf die Toilette. Das mache ich manchmal als kompensatorische Maßnahme. Das T-Shirt ist lang genug, um meinen Schoß zu verdecken. Ich pinkle, während sich das Objekt die Zähne putzt.
    Und da rieche ich den Rauch. Ich blicke auf und sehe neben der Zahnbürste im Mund des Objekts eine Zigarette.
    »Du rauchst sogar beim Zähneputzen?«
    Sie sieht mich aus den Augenwinkeln an. »Menthol«, sagt sie.
    Mit solchen Souvenirs ist das aber so eine Sache: Das Gewirbel legt sich rasch.
    An unserem Kühlschrank klebte ein Merkzettel, der mich in die Wirklichkeit zurückholte: »Dr. Bauer, 22. Juli, 14.00 Uhr.«
    Panik erfüllte mich. Panik vor dem perversen Gynäkologen und seinen inquisitorischen Instrumenten. Panik vor den Metalldingern, die meine Beine spreizen würden, und vor dem Dingsbums, das etwas anderes spreizen würde. Und Panik davor, was dieses Spreizen offenbarte.
    In diesem Zustand, diesem emotionalen Schützengraben, fing ich wieder an, zur Kirche zu gehen. An einem Sonntag Anfang Juli putzten meine Mutter und ich uns heraus (Tessie in Stöckeln, ich nicht) und fuhren zur Himmelfahrtskirche. Auch Tessie litt. Es war nun ein halbes Jahr her, dass Pleitegeier auf seinem Motorrad von der Middlesex fortgebraust war, und seitdem war er nicht mehr wiedergekommen. Schlimmer noch, im April hatte er uns mitgeteilt, er wolle das College schmeißen. Er hatte vor, mit einigen Freunden auf die Upper Peninsula zu ziehen, um sich dort, wie er es nannte, vom Land zu ernähren.
    »Du glaubst doch nicht, dass er so verrückt ist, mit dieser Meg durchzubrennen und sie zu heiraten, oder?«, fragte Tessie Milton. »Hoffentlich nicht«, antwortete er. Tessie machte sich Sorgen, weil Pleitegeier auch nicht auf sich aufpasste. Er ging nicht regelmäßig zum Zahnarzt Seine vegetarische Ernährung ließ ihn blass werden. Die Haare fielen ihm aus. Und das mit zwanzig. Es gab Tessie plötzlich das Gefühl, alt zu sein.
    Vereint in Sorgen und auf der Suche nach Trost für verschiedene Beschwerden (Tessie wollte ihre Bauchschmerzen los sein, während ich wollte, dass meine endlich anfingen), betraten wir die Kirche. Soweit ich es beurteilen konnte, geschah in der griechisch-orthodoxen Himmelfahrtskirche jeden Sonntag eines, nämlich dass die Priester zusammenkamen und laut aus der Bibel vorlasen. Sie begannen mit dem Ersten Buch Mose und lasen ohne Unterbrechung weiter bis zum Vierten und Fünften Buch. Dann die Psalmen und Sprüche, den Prediger Salomo, Jesaja, Je remia und Hesekiel, bis zum Neuen Testament. Dann lasen sie das. Angesichts der Länge unserer Gottesdienste konnte ich es mir anders nicht erklären.
    Sie sangen, während sich die Kirche langsam füllte. Schließlich ging in der Mitte der Kronleuchter an, und Father Mike sprang wie ein lebensgroßer Springteufel hinter der Ikonostase hervor. Die Verwandlung, die mein Onkel jeden Sonntag durchlief, erstaunte mich jedes Mal. In der Kirche erschien und verschwand Father Mike mit der Launenhaftigkeit einer Gottheit. Mal stand er auf der Empore und sang mit seiner zarten Stimme, die nicht den Ton halten konnte; gleich darauf war er wieder auf dem Boden und schwang sein Rauchfass. Glitzernd, mit Juwelen behängt, aufgedonnert in seinem Ornat wie ein Faberge-Ei, schritt er in der Kirche umher und gab uns Gottes Segen. Manchmal erzeugte sein Rauchfass so viel Rauch, dass es den Anschein hatte, als verfüge Father Mike über die Fähigkeit, sich in

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