Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
Namensvetter in, mu sste sich mit Kleidern von Montgomery Ward bescheiden. Sie machte selten den Mund auf und spielte während des Gottesdienstes mit Plato das Fadenspiel.
    Ich hatte Tante Zo immer gern gehabt. Ich mochte ihre kräftige, volltönende Stimme. Ich mochte ihren Humor. Sie war lauter als die meisten Männer; sie konnte meine Mutter wie niemand sonst zum Lachen bringen.
    An jenem Sonntag beispielsweise drehte sich Tante Zo während einer der vielen Pausen um und wagte einen Scherz:
    »Ich muss ja hier sein, Tessie. Was ist deine Entschuldigung?«
    »Callie und mir war einfach danach, in die Kirche zu gehen«, antwortete meine Mutter.
    Plato, der wie sein Vater klein war, rief mit spöttischem Tadel:
    »Schäm dich, Callie. Was hast du angestellt?« Dabei rieb er mit dem rechten Zeigefinger wiederholt über den linken.
    »Nichts«, sagte ich.
    »He, Soc«, flüsterte Plato seinem Bruder zu. »Wird Cousine Callie rot?«
    »Bestimmt hat sie was getan, was sie uns nicht sagen will.«
    »Jetzt aber still«, sagte Tante Zo. Denn Father Mike nahte mit dem Rauchfass. Meine Cousins drehten sich um. Meine Mutter senkte den Kopf, um zu beten. Auch ich betete. Tessie betete, dass Pleitegeier zur Vernunft kam. Und ich? Das ist einfach. Ich betete, dass meine Periode kam. Ich betete, dass ich die weiblichen Stigmata empfing.
    Der Sommer eilte dahin. Milton holte unsere Koffer aus dem Keller und sagte meiner Mutter und mir, wir sollten packen. Ich bräunte mich mit dem Objekt im Little Club. Dr. Bauer ging mir nicht aus dem Sinn, bewertete die Proportionen meiner Beine. Bis zu dem Termin war es noch eine Woche, dann eine halbe, dann zwei Tage...
    Und so kommen wir zu dem Samstagabend davor, dem 20. Juli 1974. Ein Abend voller Abschiede und Geheimpläne. In den frühen Morgenstunden des Sonntags (der in Michigan noch Samstagabend war) hoben türkische Düsenjäger von Stützpunkten auf dem Festland ab. Sie flogen in südöstlicher Richtung übers Mittelmeer Richtung Zypern. In den klassischen Mythen versteckten Götter ihre sterblichen Günstlinge oft. Aphrodite verbarg einmal Paris und rettete ihn so vor dem sicheren Tod durch Menelaos' Hand. Aeneas hüllte sie in einen Mantel, um ihn heimlich vom Schlachtfeld zu führen. Genauso verborgen waren die türkischen Düsenjäger auf ihrem Flug übers Meer. In jener Nacht meldeten zypriotische Militärangehörige eine rätselhafte Fehlfunktion ihrer Radarschirme. Die Schirme überzogen sich mit Tausenden weißer Pünktchen: eine elektromagnetische Wolke. Darin unsichtbar, erreichten die türkischen Düsenjäger die Insel und begannen, ihre Bomben abzuwerfen.
    Unterdessen verließen in Grosse Pointe auch Fred und Phyllis Mooney ihre Basis und fuhren nach Chicago. Vorn auf der Veranda standen, zum Abschied winkend, ihre Kinder Woody und Jane, die ihre eigenen Geheimpläne hatten. Dem Haus der Mooneys entgegen flogen in diesem Augenblick die Silberbomber der Bierfässer und die dichten Formationen der Sixpacks. Autos voller Teenager waren unterwegs. Unterwegs waren auch das Objekt und ich. Gepudert und getuscht, die Haare mit dem Lockenstab zu Flügeln aufgedreht, hatten wir uns allein auf den Weg gemacht. In dünnen Kordröcken und Clogs betraten wir den vorderen Rasen. Doch bevor wir hineingingen, hielt das Objekt mich auf der Veranda zurück. Sie biss sich auf die Lippe.
    »Du bist doch meine beste Freundin, oder?«
    »Ja.«
    »Gut. Manchmal glaube ich, ich habe Mundgeruch.« Sie verstummte kurz. »Es ist nämlich so, man weiß es nicht, ob man Mundgeruch hat oder nicht. Und deshalb möchte ich« - sie stockte -, »möchte ich, dass du es für mich herausfindest.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und sagte daher nichts.
    »Ist das zu ekelhaft?«
    »Nein«, sagte ich jetzt.
    »Na, also los.« Sie beugte sich zu mir und hauchte mir einen Atemstoß ins Gesicht.
    »Ist in Ordnung«, sagte ich.
    »Gut. Und jetzt du.«
    Ich beugte mich herab und atmete ihr ins Gesicht.
    »Alles paletti«, sagte sie entschieden. »Komm. Jetzt können wir auf die Party.«
    Ich war noch nie auf einer Party gewesen. Die Eltern taten mir Leid. Als wir uns in dem wummernden Haus durchs Gewimmel drängten, ließ mich die Zerstörung, die da im Gange war, zusammenzucken. Zigarettenasche fiel auf Bezugsstoffe von Pierre Deux. Bierdosen liefen auf Teppich-Erbstücken aus. Im Arbeitszimmer sah ich, wie zwei Jungen lachend in einen Tennispokal urinierten. Die meisten waren älter. Einige Pärchen

Weitere Kostenlose Bücher