Middlesex
gingen die Treppe hinauf, verschwanden in Schlafzimmern.
Das Objekt versuchte, sich älter zu geben. Sie kopierte den überheblichen, gelangweilten Ausdruck der Highschool-Mäd- chen. Sie kämpfte sich, mir voraus, zur hinteren Veranda durch und stellte sich in die Schlange vor dem Bierfass.
»Was machst du?«, fragte ich.
»Ich hole mir ein Bier. Was glaubst du denn?«
Draußen war es ziemlich dunkel. Wie so oft bei öffentlichen Anlässen ließ ich mir die Haare ins Gesicht fallen. Ich stand hinter dem Objekt und sah aus wie Vetter Id aus der Addams Family, als mir jemand die Augen zuhielt.
»Wer bin ich?«
»Jerome.«
Ich nahm seine Hände vom Gesicht und drehte mich um.
»Woher hast du gewusst, dass ich es bin?«
»Der komische Geruch.«
»Aua«, sagte eine Stimme hinter Jerome. Ich sah hin und bekam einen Schreck. Neben Jerome stand Rex Reese, der Typ, der Carol Henkel in ihr nasses Grab gefahren hatte. Rex Reese, unser hiesiger Teddy Kennedy. Auch er wirkte nicht mehr besonders nüchtern. Seine dunklen Haare wuchsen ihm über die Ohren, und an einer Lederschnur hatte er ein Stück blaue Koralle um den Hals hängen. Ich durchforschte sein Gesicht nach Anzeichen von Reue oder Bedauern. Rex dagegen durchforschte mein Gesicht nicht. Sein Blick lag auf dem Objekt, und seine Haare fielen ihm in die Augen, unterhalb deren sich ein Lächeln kräuselte.
Geschickt schoben sich die beiden Jungen zwischen uns und drehten einander den Rücken zu. Ich erhaschte einen letzten Blick auf das obskure Objekt. Sie hatte die Hände in den Gesäßtaschen ihres Kordrocks. Das sah lässig aus, hatte aber zur Folge, dass sich ihre Brüste herausdrückten. Sie schaute zu Rex hoch und lächelte.
»Morgen fange ich mit dem Drehen an«, sagte Jerome. Ich sah ihn verständnislos an.
»Mit meinem Film. Meinem Vampirfilm. Willst du wirklich nicht mitspielen?«
»Wir fahren nächste Woche in Urlaub.«
»Wie ätzend«, sagte Jerome. »Der wird nämlich genial.«
Wir standen schweigend da. Nach einer Weile sagte ich:
»Das wahre Genie hält sich nie für ein Genie.«
»Wer sagt das?«
»Ich.«
»Und warum?«
»Weil Genialität zu neunzig Prozent aus Schweiß besteht. Hast du das noch nie gehört? Sobald du denkst, du bist ein Genie, lässt du nach. Dann denkst du, alles, was du machst, ist ganz toll und so.«
»Ich will bloß Gruselfilme machen«, entgegnete Jerome.
»Zwischendrin auch mal 'ne Nacktszene.«
»Versuch halt nicht, ein Genie zu sein, vielleicht wirst du dann durch Zufall eins«, sagte ich.
Er sah mich seltsam an, durchdringend, aber er grinste auch.
»Was ist?«
»Nichts.«
»Warum schaust du mich so an?«
»Wie schaue ich dich an?«
Im Dunkeln war Jeromes Ähnlichkeit mit dem obskuren Objekt noch ausgeprägter. Die goldbraunen Brauen, der Karamelteint alles war da, und in statthafter Form.
»Du bist um einiges schlauer als die meisten Freundinnen meiner Schwester.«
»Du bist um einiges schlauer als die meisten Brüder meiner Freundinnen.«
Er beugte sich zu mir her. Er war größer als ich. Das war es, worin er sich von seiner Schwester unterschied. Es genügte, um mich aus meiner Trance zu wecken. Ich wandte mich von ihm ab. Ich umkreiste ihn zum obskuren Objekt. Sie himmelte Rex noch immer an.
»Komm«, sagte ich. »Wir müssen zu dem Dings.«
»Welchem Dings?«
»Weißt schon. Dem Dings.«
Endlich schaffte ich es, sie fortzuziehen. Sie schickte ein Lächeln und bedeutungsvolle Blicke zurück. Kaum waren wir von der Veranda herunter, sah sie mich grimmig an.
»Wohin bringst du mich?«, sagte sie böse.
»Weg von diesem Widerling.«
»Kannst du mich nicht mal eine Minute in Ruhe lassen?«
»Du willst, dass ich dich in Ruhe lasse?«, sagte ich. »Gut, dann lass ich dich in Ruhe.« Ich rührte mich nicht.
»Kann ich denn nicht mal mit einem Jungen auf einer Party reden?«, fragte das Objekt.
»Ich hab dich weggebracht, bevor es zu spät ist.«
»Was meinst du damit?«
»Du hast Mundgeruch.«
Das bremste das Objekt. Das traf sie bis ins Mark. Sie erschlaffte. »Tatsächlich?«
»Nur ein bisschen nach Zwiebeln«, sagte ich.
Wir standen jetzt auf dem Rasen. Auf dem steinernen Verandageländer saßen Partygäste, Zigarettenspitzen glühten in der Finsternis.
»Wie findest du Rex?«, wisperte das Objekt.
»Wie? Sag bloß, du magst ihn.«
»Ich hab nicht gesagt, dass ich ihn mag.«
Ich suchte die Antwort in ihrem Gesicht. Sie bemerkte es und ging ein Stück über den Rasen. Ich folgte
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