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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Nebel zu hüllen. Wenn der Nebel sich dann aber am Nachmittag in unserem Wohnzimmer auflöste, war er wieder ein kleiner, schüchterner Mann in schwarzen Gewändern aus Mischgewebe und mit einem Plastikkragen.
    Tante Zoe's Autorität ging in die entgegengesetzte Richtung. In der Kirche war sie duldsam. Der runde graue Hut, den sie trug, sah aus wie der Kopf einer Schraube, die sie an ihrer Bank befestigte. Immerzu kniff sie ihre Söhne, um sie wach zu halten. Ich konnte die besorgte Person, die da jede Woche vor uns kauerte, kaum mit der lustigen Frau in Verbindung bringen, die, angeregt vom Wein, in unserer Küche zur Komikerin wurde. »Ihr Männer bleibt draußen!«, prustete sie etwa, während sie mit meiner Mutter tanzt e. »Wir haben hier Messer.«
    Der Unterschied zwischen der Kirchgängerin Zoe' und der Weintrinkerin Zoe war so frappierend, dass ich es mir immer besonders vornahm, sie bei der Messe zu beobachten. An den Sonntagen, wenn meine Mutter ihr bei der Begrüßung auf die Schulter tippte, antwortete Tante Zo meist nur mit einem matten Lächeln. Ihre große Nase war wie angeschwollen vor Kummer. Schon wandte sie sich wieder nach vorn, bekreuzigte sich und verharrte so bis zum Ende.
    Also: Die Himmelfahrtskirche an jenem Vormittag im Juli. Weihrauch steigt mit der Unerbittlichkeit irrationalen Hoffens auf. Weiter drin (draußen hat es genieselt) der Geruch nasser Wolle. Tropfende Schirme, unter den Bänken verstaut. Die Rinnsale von diesen Schirmen laufen über den unebenen Fußboden unserer schlecht gebauten Kirche, sammeln sich an manchen Stellen zu Pfützen. Der Geruch von Haarspray und Parfüm, billigen Zigarren, dazu das langsame Ticken von Uhren. Das Knurren von immer mehr Mägen. Und das Gähnen. Das Einnicken und das Schnarchen und das Wachgestupstwerden.
    Unsere Liturgie, endlos; mein Körper immun gegen die Gesetze der Zeit. Und unmittelbar vor mir Zoe Antoniou, der die Zeit auch übel mitgespielt hat.
    Das Leben als Priesterfrau war noch schlimmer gewesen, als Tante Zo erwartet hatte. Für sie waren es keine guten Jahre gewesen auf der Peloponnes. Sie hatten in einem kleinen, unbeheizten Steinhaus gelebt. Draußen breiteten die Dorffrauen Decken unter die Olivenbäume und schlugen gegen die Äste, bis die Oliven herabfielen. »Können die denn nicht mit diesem verdammten Lärm aufhören!«, hatte Zoe geklagt. Binnen fünf Jahren hatte sie zu dem nicht enden wollenden Baumprügelgeräusch vier Kinder zur Welt gebracht. In Briefen an meine Mutter hatte sie ihr Elend geschildert: keine Waschma schine, kein Auto, kein Fernseher, ein Garten voller Steinbrocken und Ziegen. Die Briefe hatte sie mit »Hl. Zoe, Kirchenmärtyrerin« unterzeichnet.
    Father Mike hatte es in Griechenland besser gefallen. Seine Jahre dort waren für ihn die goldene Zeit seines Priesterdaseins. In dem kleinen Dorf auf der Peloponnes hatte sich der alte Aberglaube gehalten. Für die Menschen dort gab es noch den bösen Blick. Niemand bedauerte ihn, weil er Priester war, wohingegen ihn die Gemeindemitglieder, später in Amerika, immer mit gelinder, aber unmissverständlicher Überheblichkeit behandelten, als wäre er ein Verrückter, dem man seinen Wahn eben lassen musste. Die Demütigung, in einer Marktwirtschaft Priester zu sein, plagte Father Mike nicht, solange er in Griechenland war. In Griechenland konnte er meine Mutter vergessen, die ihm den Laufpass gegeben hatte, und er konnte dem Vergleich mit meinem Vater entgehen, der so viel mehr Geld verdiente als er. Die Nörgeleien seiner Frau hatten Father Mike noch nicht zu der Überlegung veranlasst, sein Priesteramt aufzugeben, und ihn noch nicht zu seiner Verzweiflungstat getrieben...
    1956 wurde Father Mike zurück in die Staaten an eine Kirche in Cleveland berufen. 1958 wurde er Priester an der Himmelfahrtskirche. Zoe war glücklich, wieder zu Hause zu sein, gewöhnte sich aber nicht an ihre Stellung als Presvitera. Sie war nicht gern Rollenbild. Sie fand es schwierig, ihre Kinder immer sauber und anstän- , dig gekleidet zu halten. »Von welchem Geld denn?«, schrie sie ihren Mann an. »Wenn sie dich halbwegs ordentlich bezahlen würden, dann würden die Kinder vielleicht auch besser aussehen.« Meine Cousins und meine Cousine - Aristotle, Socrates, Plato und Cleopatra hatten das gehemmte, geschniegelte Äußere von Pfarrerskindern. Die Jungen trugen billige Zweireiher in grellen Farben. Sie hatten einen Afro. Cleo, die so schön und mandeläugig war wie ihre

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