Middlesex
Dank.«
»Dir ist nicht schlecht, Liebling.«
»Was denn dann? Mir geht's nicht gut. Es tut weh.«
Meine Mutter nahm mich, noch immer strahlend, an der Hand.
»Schnell, schnell«, sagte sie. »Wir wollen doch nicht, dass ein Missgeschick passiert.«
Als ich mich in der Kirchentoilette in eine Kabine einschloss, war die Nachricht von der türkischen Invasion Zyperns schon in die Vereinigten Staaten gelangt. Dann kamen Tessie und ich nach Hause, und das Wohnzimmer war voller brüllender Männer.
»Unsere Schlachtschiffe liegen vor der Küste, um die Griechen einzuschüchtern«, schrie Jimmy Fioretos.
»Natürlich liegen sie vor der Küste«, entgegnete Milton, »was hast du denn erwartet? Die Junta übernimmt das Ruder und schmeißt Makarios raus. Also werden die Türken nervös. Das ist eine brisante Lage.«
»Ja, aber den Türken zu helfen...«
»Die USA helfen den Türken nicht«, fuhr Milton fort. »Sie wollen nur verhindern, dass die Junta verrückt spielt.«
1922, als Smyrna brannte, lagen amerikanische Kriegsschiffe tatenlos vor Anker. Zweiundfünfzig Jahre später, vor der Küste Zyperns, taten sie ebenfalls nichts. Jedenfalls vorgeblich.
»Sei doch nicht so naiv, Milt«, rief wieder Jimmy Fioretos.
»Wer hat denn wohl das Radar gestört? Die Amerikaner, Milt. Wir.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte mein Vater.
Und nu Gus Panos durch das Loch in seinem Hals: »Das ist dieser verfluchte - ssssssss - Kissinger. Der hat bestimmt sssssss - was mit den Türken ausgehandelt.«
»Na klar.« Peter Tatakis nickte und nahm einen Schluck von seiner Pepsi. »Jetzt, wo die Vietnamkrise vorbei ist, kann Herr Doktor Kissinger wieder Bismarck spielen. Er hätte gern NATO- Stützpunkte in der Türkei? Auf diese Weise kriegt er sie.«
Waren diese Anschuldigungen wahr? Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Ich weiß nur das: An jenem Morgen störte jemand das zypriotische Radar und ermöglichte damit den Erfolg der türkischen Invasion. Verfügten die Türken über eine solche Technik? Nein. Die amerikanischen Kriegsschiffe? Ja. Aber so etwas lässt sich nicht beweisen...
Außerdem war mir das ohnehin egal. Die Männer fluchten und zeigten mit dem Finger auf den Fernseher und hämmerten auf das Radio, bis Tante Zo beides ausstöpselte. Bedauerlicherweise konnte sie nicht auch die Männer ausstöpseln. Im Verlauf des ganzen Essens brüllten die Männer einander an. Messer und Gabeln fuhren durch die Luft. Der Streit über Zypern sollte Wochen dauern und jenem Sonntagsessen schließlich ein für alle Mal ein Ende setzen. Für mich aber hatte die Invasion nur eine Bedeutung.
Sobald es ging, stand ich vom Tisch auf und rannte los, um das Objekt anzurufen. »Rate mal«, schrie ich aufgeregt. »Wir fahren nicht in Urlaub. Da ist Krieg!«
Dann sagte ich ihr, ich hätte Krämpfe und sei gleich bei ihr.
FLEISCH UND BLUT
Rasch nähere ich mich nun dem Augenblick der Entdeckung: meiner selbst durch mich selbst, obwohl ich es die ganze Zeit gewusst hatte und doch auch nicht; und der Entdeckung durch den armen, halb blinden Dr. Philobosian, dass da etwas war, was er bei meiner Geburt und bei jeder Routineuntersuchung in den Folgejahren übersehen hatte; und der Entdeckung durch meine Eltern, was für ein Kind sie zur Welt gebracht hatten (Antwort: dasselbe Kind, nur anders); und schließlich der Entdeckung jenes mutierten Gens, das zweihundertfünfzig Jahre lang in unserem Erbgut verborgen gewesen war, daraufwartend, dass Atatürk angriff, dass Hajienestis zu Glas wurde, dass eine Klarinette verführerisch aus einem Fenster zum Hof hinaus blies, bis es, vereinigt mit seinem rezessiven Zwilling, die Kette der Ereignisse auslöste, die hin zu mir führten, dem Schreibenden in Berlin.
In jenem Sommer - in dem auch die Lügen des Präsidenten ausgefeilter wurden - begann ich, meine Periode vorzutäuschen. Mit Nixon'scher Schläue wickelte Calliope eine Flottille Tampons aus und spülte sie unbenutzt weg. Ich heuchelte Symptome von Kopfschmerzen bis Abgeschla genheit. Ich imitierte Krämpfe wie Meryl Streep Dialekte: das Stechen, den dumpfen Schmerz, den heimtückischen Spasmus, der mich, gekrümmt, aufs Bett warf. Mein Zyklus war, wenngleich imaginär, peinlich genau auf meinem Tischkalender verzeichnet. Die Tage markierte ich mit dem Fischsymbol aus den Katakomben: XD. Ich trug meine Perioden bis in den Dezember ein und war mir sicher, bis dahin würde meine echte Menarche längst gekommen sein.
Meine Mogelei
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