Middlesex
zwei Wochen, bis Luce über mich zu einem Ergebnis gelangt war. Er vereinbarte einen Termin mit meinen Eltern für den Montag darauf.
Milton war während der zwei Wochen herumgereist, hatte seine Hercules-Läden unter die Lupe genommen, aber am Freitag vor dem Termin flog er zurück nach New York. Wir verbrachten das Wochenende mit lustlosem Sightseeing, immer wieder überfallen von unausgesprochenen Befürchtungen. Am Montagmorgen setzten mich meine Eltern an der New Yorker Public Library ab und fuhren weiter zu Dr. Luce.
Mein Vater hatte sich an dem Morgen mit besonderer Sorgfalt gekleidet. Trotz einer äußerlich zur Schau gestellten Gelassen heit wurde Milton von einer ungewohnten Angst bedrängt, und so wappnete er sich mit seinen imposantesten Stücken: Über seinen fülligen Leib kam ein anthrazitfarbener Nadelstreifen anzug, um seinen Ochsenfroschhals eine Countess-Mara- Krawatte, und in die Knopflöcher seiner Hemdsärmel wanderten seine Glücksbringer, die Manschettenknöpfe »Griechisches Drama«. Wie unser Akropolis-Nachtlicht stammten auch die Manschettenknöpfe aus Jackie Halas' Souvenirladen in Greektown. Milton trug sie jedes Mal, wenn er mit Bankleuten von der Kreditabteilung oder Steuerprüfern zusammentraf. An jenem Montagmorgen hatte er jedoch Schwierigkeiten, die Manschettenknöpfe anzubringen; seine Hände waren nicht ruhig genug. Verzweifelt bat er Tessie, ihm zu helfen. »Was hast du denn?«, fragte sie ihn zärtlich. Doch Milton blaffte: »Mach einfach nur die Manschettenknöpfe dran, ja?« Er hielt ihr die Arme hin und wandte den Blick ab, beschämt von der Schwäche seines Körpers.
Stumm steckte Tessie die Manschettenknöpfe fest, Tragödie in den einen Ärmel, Komödie in den anderen. Als wir auf die Straße traten, blinkten sie in der Morgensonne, und unter dem Einfluss dieser doppelgesichtigen Accessoires nahm das, was gleich darauf geschah, kontrastreiche Färbungen an. In Miltons Miene lag Tragik, wie sollte es anders sein, als sie mich an der Public Library absetzten. Während seiner Abwesenheit hatte sich sein Bild von mir wieder zu dem des Mädchens gewandelt, das ich ein Jahr zuvor gewesen war. Nun sah er sich meinem wirklichen Ich aufs Neue gegenüber. Er sah meine unvorteilhaften Bewegungen beim Hinaufsteigen der Stufen zur Bibliothek, die Breite meiner Schultern in dem Papagallo- Mantel. Während er mir vom Taxi aus nachblickte, fand Milton sich mit dem Wesen der Tragödie unmittelbar konfrontiert: einer Begebenheit, die schon vor der Geburt festgelegt ist, der man nicht entrinnen und an der man auch nichts andern kann, egal, wie sehr man sich bemüht. Und Tessie, daran gewöhnt, die Welt mit den Augen ihres Mannes zu sehen, erkannte, dass mein Problem schlimmer wurde, sich beschleunigte. Die Herzen meiner Eltern waren von Sorgen zerquält, Sorgen, die sich einstellen, wenn man Kinder hat, eine Verletzbarkeit, ebenso erstaunlich wie die Eltern eigene Kraft zu lieben, und all das in zwei Manschettenknöpfen...
... Aber dann fuhr das Taxi weiter und Milton wischte sich mit seinem Taschentuch die Stirn; dabei kam in seinem rechten Ärmel das grinsende Gesicht zum Vorschein, denn die Ereignisse jenes Tages hatten auch eine Komödienseite. Komik lag darin, wie Milton, während er sich noch um mich sorgte, mit einem Auge auf das klackernde Taxameter sah. In der Klinik lag Komik darin, wie Tessie, die sich beiläufig eine Wartezimmerzeitschrift genommen hatte, plötzlich etwas über die Sexualspiele junger Rhesusaffen las. Selbst in dem Streben meiner Eltern lag eine Spur bitterster Satire, weil es den amerikanischen Glauben widerspiegelte, Ärzte könnten alles regeln. Aber dieses Komödienhafte, es zeigt sich nur im Rückblick. Als Milton und Tessie sich auf das Treffen mit Dr. Luce vorbereiteten, blubberte in ihren Mägen beißender Schaum. Milton dachte an seine Anfangszeit bei der Navy zurück, an die Stunden in dem Landungsboot. Jetzt war es genau wie damals. Jeden Augenblick konnte die Bugklappe fallen, und dann mussten sie sich in die malmende nächtliche Brandung stürzen...
In seinem Sprechzimmer kam Luce sogleich zum Thema.
»Ich möchte Ihnen von der Verfassung Ihrer Tochter berichten«, sagte er. Tessie fiel der Wandel sofort auf. Tochter. Er hatte »Tochter« gesagt.
Der Sexologe sah an dem Morgen beruhigend ärztlich aus. Über seinem Cashmere-Rolli trug er einen weißen Kittel. In der Hand hielt er einen Skizzenblock. Sein Kugelschreiber trug den Namen eines
Weitere Kostenlose Bücher