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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Pharmaunternehmens. Die Rouleaus waren heruntergelassen, das Licht gedämpft. Die Paare auf den Mughal-Mi-niaturen hatten sich züchtig mit Schatten bedeckt. In seinem Designerstuhl, vor der Bücher- und Zeitschriftenwand, wirkte Dr. Luce seriös, voller Sachverstand, und dementsprechend war auch sein Vortrag. »Was ich hier zeichne«, begann er, »sind die fetalen Genitalstrukturen. Mit anderen Worten, so sehen die Genitalien eines Embryos in der Gebärmutter aus, und zwar während der ersten Wochen nach der Empfängnis. Männlich, weiblich, alles dasselbe. Diese beiden Kreise hier sind das, was wir die Allzweck-Gonaden nennen. Der kleine Fitzel da ist ein Wolff-scher Gang. Und der andere Fitzel ist ein Müllerscher Gang. Ja? Wir müssen immer daran denken, dass es am Anfang so bei jedem aussieht. Bei jedem sind die Jungen- genau wie die Mädchengeschlechtsorgane angelegt. Bei Ihnen, Mr. Stephanides, bei Ihnen, Mrs. Stephanides, bei mir - bei jedem. Dann« - er fing wieder an zu zeichnen - »werden im Laufe der Entwicklung des Fetus Hormone und Enzyme freigesetzt - ich zeichne sie mal als Pfeile. Was tun diese Hormone und Enzyme? Nun, sie machen aus diesen Kreisen und Fitzeln die Geschlechtsorgane entweder eines Jungen oder eines Mädchens. Sehen Sie diesen Kreis, die Allzweck-Gonade? Daraus kann ein Ovar wie auch ein Hoden werden. Und dieser fitzlige Müllersche Gang kann entweder verkümmern« - er strich ihn aus - »oder sich zu einem Uterus auswachsen, den Eileitern und der Innenseite einer Vagina. Dieser Wolffsche Gang dagegen kann entweder verkümmern oder sich zu Samenbläschen, Epididymis und Vas deferens auswachsen. Je nach den hormonalen oder enzymatischen Einflüssen.« Luce blickte auf und lächelte. »Machen Sie sich wegen der Terminologie keine Gedanken. Was Sie sich vor allem merken sollten: Jeder Embryo hat Müllersche Gänge, die potenzielle Mädchengeschlechtsorgane sind, und Wolffsche Gänge, die potenzielle Jungengeschlechtsorgane sind. Das sind die inneren Geschlechtsorgane. Aber dasselbe gilt auch für die äußeren. Ein Penis ist nichts anderes als eine sehr große Klitoris. Beide entspringen derselben Wurzel.«
    Dr. Luce hielt wieder inne. Er faltete die Hände, Meine Eltern, auf ihren Stühlen vorgebeugt, warteten.
    »Wie ich erklärt habe, muss jede Bestimmung der Geschlechtsidentität eine ganze Reihe von Faktoren berücksichtigen. Der wichtigste im Falle Ihrer Tochter ist« - da war es wieder, mit Überzeugung vorgetragen -, »dass sie vierzehn Jahre lang als Mädchen erzogen worden ist und sich auch durchaus weiblich sieht. Ihre Interessen, ihre Bewegungen, ihre psychosexuelle Konstitution -das alles ist weiblich. Können Sie mir bis dahin folgen?«
    Milton und Tessie nickten.
    »Aufgrund ihrer 5-alpha-Reduktase-Defizienz spricht Callies Körper nicht auf Dihydrotestosteron an. Das bedeutet, dass sie im Mutterleib einer überwiegend weiblichen Entwicklungslinie gefolgt ist. Besonders bei den äußeren Geschlechtsorganen. In Verbindung damit, dass sie als Mädchen erzogen worden ist, führte das dazu, dass sie auch wie ein Mädchen denkt, handelt und aussieht. Das Problem tauchte auf, als sie in die Pubertät kam. In der Pubertät begann das andere Androgen Testosteron - eine starke Wirkung zu entfalten. Am einfachsten lässt sich das so ausdrücken: Callie ist ein Mädchen, das ein bisschen zu viele männliche Hormone hat. Und das wollen wir korrigieren.«
    Milton und Tessie sagten beide keinen Ton. Nicht allem, was der Arzt sagte, hatten sie folgen können, aber wie das im Gespräch mit Ärzten nun einmal ist, achteten sie auf seine Körpersprache und versuchten zu erkennen, wie ernst die Lage war. Luce wirkte optimistisch, zuversichtlich, so dass in Tessie und Milton Hoffnung keimte.
    »Das ist die Biologie. Übrigens ist es eine sehr seltene genetische Verfassung. Die einzigen Populationen, bei denen diese Mutation unseres Wissens auftritt, sind in der Dominikanischen Republik, in Papua-Neuguinea und im Südosten der Türkei. Gar nicht so weit entfernt von dem Dorf, aus dem Ihre Eltern kamen.
    Gerade mal vierhundert Kilometer.« Luce nahm seine silberne Brille ab. »Wissen Sie von einem anderen Familienmitglied, das ein genitales Erscheinungsbild ähnlich dem Ihrer Tochter hatte?«
    »Nicht dass wir wüssten«, sagte Milton.
    »Wann sind Ihre Eltern eingewandert?«
    »Neunzehnhundertzweiundzwanzig.«
    »Haben sie noch in der Türkei lebende Verwandte?«
    »Nicht mehr.«
    Luce machte

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