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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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männlichen Angehörigen der Sambia betrachten den Kontakt mit den weiblichen als äußerst verderblich. Also haben sie soziale Strukturen aufgebaut, um Begegnungen auf ein Minimum zu beschränken. Die Männer und Jungen schlafen auf der einen Seite des Dorfes, die Frauen und Mädchen auf der anderen. Die Männer betreten das Langhaus der Frauen nur zur Begattung. Rein und raus. Ja, das Wort der Sambia für ›Vagina‹ bedeutet wörtlich übersetzt ›Das, was gar nicht gut ist‹.«
    Leises Kichern von der anderen Seite des Schirms.
    Befangen trat ich hervor. Ich war größer als alle anderen im Raum, wog aber viel weniger. Der Boden war kalt unter meinen nackten Füßen, als ich zum Untersuchungstisch ging und hinaufsprang.
    Ich legte mich hin. Ohne dass man mich hätte auffordern müssen, hob ich die Beine und stellte die Fersen in die gynäkologischen Stützen. Im Raum war es bedrohlich still geworden. Die drei Ärzte näherten sich, gesenkten Blicks. Ihre Köpfe bildeten über mir eine Dreieinigkeit. Luce zog den Vorhang quer über den Tisch.
    Über mich gebeugt, betrachteten sie meine Geschlechtsteile, während Luce den Fremdenführer spielte. Ich hatte die Bedeutung der meisten Wörter vorher nicht gekannt, aber nach dem dritten oder vierten Mal konnte ich die Liste auswendig hersagen. »Muskulärer Habitus... keine Gynäkomastie... Hypospadien... Urogenitalsinus... blinde Vaginaltasche...« Das waren meine Stufen zum Ruhm. Aber als berühmt empfand ich mich nicht.
    Eigentlich kam es mir hinter dem Vorhang so vor, als wäre ich gar nicht mehr im Raum.
    »Wie alt ist sie?«, fragte Dr. Winters.
    »Vierzehn«, antwortete Luce. »Im Januar wird sie fünfzehn.«
    »Dann ist Ihr Standpunkt also, dass ihr Chromosomenstatus völlig von der Erziehung überlagert worden ist?«
    »Ich halte das für ziemlich offensichtlich.«
    Während ich dalag und Luce mit seinen Gummihandschuhen das Notwendige machen ließ, ging mir einiges auf. Luce wollte die Männer mit der Wichtigkeit seiner Arbeit beeindrucken. Er brauchte Gelder, um die Ambulanz am Leben zu erhalten. Die Eingriffe, die er an Transsexuellen vornahm, wurden finanziell nicht gefördert. Um Institutionen zu interessieren, musste man auf die Tränendrüse drücken. Man musste eine Leidensmiene aufsetzen. Und das versuchte Luce nun mit mir. Ich war ideal, so höflich, so mittelwestlich. An mir haftete nichts Unschickliches, kein Ruch von Transenbars oder Kontaktan zeigen im hinteren Teil schlüpfriger Zeitschriften.
    Dr. Craig war nicht überzeugt. »Faszinierender Fall, Peter. Keine Frage. Aber meine Leute werden etwas über die Anwendbarkeit wissen wollen.«
    »Was wir hier sehen, ist sehr selten«, räumte Dr. Luce ein.
    »Außerordentlich selten. Aber im Hinblick auf die Forschung kann die Bedeutung gar nicht überschätzt werden. Aus den Gründen, die ich in meinem Sprechzimmer skizziert habe.« Luce blieb um meinetwillen vage, ihnen sagte das genug. Ohne ein gewisses Lobbyistentalent wäre er nicht dorthin gelangt, wo er war. Währenddessen war ich anwesend und auch wieder nicht, zuckte unter Luces Berührung zusammen, bekam eine Gänsehaut und grübelte, ob ich mich auch ordentlich gewaschen hatte.
    Auch daran erinnere ich mich. An einen langen, schmalen Raum auf einem anderen Stockwerk des Krankenhauses. Am einen Ende ein Podest vor einem gefilterten Scheinwerfer. Der Fotograf legte einen Film in seine Kamera.
    »Na dann, ich bin so weit«, sagte er.
    Ich ließ meinen Kittel fallen. Fast schon daran gewöhnt, stieg ich auf die Stufe vor der Messlatte.
    »Winkle die Arme ein wenig ab.«
    »So?«
    »Ja, gut. Ich möchte keinen Schatten.«
    Er bat mich, nicht zu lächeln. Im Verlag des Lehrbuchs würden sie sorgfältig mein Gesicht verdecken. Der schwarze Balken: ein umgekehrtes Feigenblatt, das die Identität verbarg, die Scham jedoch bloß ließ.
    Jeden Abend rief Milton in unserem Zimmer an. Tessie heiterte seinetwegen ihre Stimme auf. Hatte ich abgenommen, dann war es Milton, der glücklich klingen wollte. Ich aber ergriff die Gelegenheit zum Jammern und Klagen.
    »Ich habe dieses Hotel satt. Wann können wir nach Hause?«
    »Sobald es dir besser geht«, sagte Milton.
    Als es Schlafenszeit war, zogen wir die Vorhänge zu und löschten das Licht.
    »Gute Nacht, Liebling. Bis morgen früh.«
    »Nacht.«
    Aber ich konnte nicht schlafen. Ich musste immerzu an das Wort »besser« denken. Was meinte mein Vater damit? Was wollten sie mit mir machen?

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