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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sterben, und damit ist alles wieder gut.«
    »Ich sag nichts.«
    »Die Leute dürfen nicht mal wissen, dass ich deine Cousine bin.«
    »Ich sag's keinem.«
    »Und dein Mann?«
    »Der glaubt, ich hole meinen Vetter und dessen neue Frau ab.«
    »Du sagst ihm nichts?«
    »Kinderspiel.« Lina lachte. »Der hört mir gar nicht zu.«
    Sourmelina bestand darauf, einen Gepäckträger zu holen, der ihre Koffer zum Wagen brachte, einem schwarz-braunen Packard. Sie gab ihm ein Trinkgeld und setzte sich ans Steuer, was auffiel. Im Jahr 1922 war eine Auto fahrende Frau ein skandalöser Anblick. Nachdem sie ihre Zigarettenspitze auf dem Armaturenbrett abgelegt hatte, zog sie den Choke heraus, wartete die erforderlichen fünf Sekunden und drückte den Anlasserknopf. Die Blechhaube erschauerte zum Leben. Die Ledersitze begannen zu vibrieren, und Desdemona hielt sich am Arm ihres Mannes fest. Vorn nahm Sourmelina ihre Stöckel mit den Satinriemen ab, um barfuß zu fahren. Sie legte den Gang ein und ruckelte, ohne auf den Verkehr zu achten, auf die Michigan Avenue Richtung Cadillac Square. Meinen Großeltern gingen ob der schieren Betriebsamkeit die Augen über, rumpelnde Straßenbahnen, schepperndes Klingeln, dazu der monochrome Verkehr, der von überallher anbrandete. Damals war Detroits Innenstadt noch voll mit Kauflustigen und Geschäftsleuten. Vor Hudson's Warenhaus standen die Menschen zu zehnt hintereinander, um durch die neumodische Drehtür zu gelangen. Lina machte sie auf die Schilder aufmerksam: The Cafe Frontenac... the Family Theatre... und die gewaltigen elektrischen Reklametafeln: Ralston... Wait & Bond Blackstone Mild 10ct Cigar. Über ihnen strich ein zehn Meter großer Junge Meadow Gold Butter auf eine drei Meter lange Scheibe Brot. An einem Gebäude hing eine Reihe gigantischer Öllampen überm Eingang, Werbung für einen Schlussverkauf, der bis zum 31. Oktober dauerte. Es war ein einziges Gewusel und Getümmel, und schon bekam Desdemona, die auf dem Rücksitz zurückgesunken war, jene Beklemmungen, die moderne Annehmlichkeiten bei ihr in all den Jahren auslösen sollten, Autos vor allem, aber auch Toaster, Rasensprenger und Rolltreppen; Lefty dagegen schüttelte grinsend den Kopf. Wohin das Auge fiel, ragten Wolkenkratzer auf und Kinopaläste und Hotels. In den zwanziger Jahren wurden nahezu alle großen Gebäude Detroits errichtet, das Penobscot Building und das zweite Buhl Building, das bunt wie ein Indianergürtel war, das New Union Trust Building, der Cadillac Tower, das Fisher Building mit seinem vergoldeten Dach. Für meine Großeltern war Detroit ein riesiger Koza Han während der Kokonsaison. Was sie nicht sahen, waren die Arbeiter, die wegen der Wohnungsknappheit auf der Straße schliefen, und das Ghetto gleich im Osten, ein dreißig Block umfassendes Gebiet, das von der Leland, der Macomb, der Hastings und der Brush Street umschlossen war und in dem sich die Afroamerikaner drängten, weil sie nirgendwo sonst wohnen durften. Kurz, sie sahen nicht den Keim der Zerstörung - der zweiten Zerstörung jener Stadt -, weil sie ein Teil davon waren, von all den Menschen, die von überallher kamen, um Henry Fords Fünf-Dollar-am-Tag- Versprechen einzulösen.
    Detroits East Side war ein ruhiges Viertel: Einfamilienhäuser, denen kuppelartige Ulmen Schatten spendeten. Das Haus in der Hurlbut Street, zu dem Lina sie fuhr, war ein bescheidenes zweistöckiges Gebäude aus dunkelbraunem Backstein. Meine Großeltern starrten es vom Auto aus an, unfähig, sich zu regen, bis auf einmal die Haustür aufging und jemand heraustrat.
    Jimmy Zizmo war so vieles, ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Amateur-Kräuterkundler, Anti-Frauenrechtler, Großwildjäger, Ex-Gauner, Drogenhändler, Abstinenzler suchen Sie's sich aus. Er war fünfundvierzig Jahre alt, beinahe doppelt so alt wie seine Frau. Dort auf der düsteren Veranda trug er einen preiswerten Anzug und ein Hemd mit spitzem Kragen, dem fast die ganze Stärke ausgegangen war. Seine schwarzen Kraushaare verliehen ihm das wilde Aussehen eines Junggesellen, als der er so viele Jahre lang gelebt hatte, und dieser Eindruck wurde noch von seinem Gesicht betont, das zerwühlt war wie ein ungemachtes Bett. Seine Augenbrauen dagegen waren so verführerisch geschwungen wie bei einer Bajadere, die Wimpern so dicht, man hätte meinen können, er hätte Maskara aufgetragen. Aber das alles bemerkte meine Großmutter nicht. Ihr Blick war auf etwas anderes geheftet.
    »Ein

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