Middlesex
gefährlich lange Zigarettenasche. Sourmelina und das indigoblaue Badewasser. Sourmelina bei den Frühstücks gelagen der Theosophischen Gesellschaft. Sie trug Satinhand schuhe bis zum Ellbogen und bemutterte Generationen um Generationen übel riechender Dackel mit tränenfleckigen Augen. Überall in ihrem Haus standen Schemel, die diesen kurzbeinigen Geschöpfen Zugang zu Sofas und Chaiselongues gestatteten. 1922 jedoch war Sourmelina erst achtundzwanzig. Sie aus dem Gewimmel in der Grand Trunk herauszuheben fällt mir ebenso schwer, wie Gäste im Hochzeitsalbum meiner Eltern zu identifizieren, wo alle Gesichter den Deckmantel der Jugend tragen. Lefty hatte ein anderes Problem. Er schritt die Bahnhofshalle auf und ab, um die Cousine zu finden, mit der er aufgewachsen war, ein scharfnasiges Mädchen mit dem grinsenden Mund einer Komödienmaske. Das Licht der Sonne fiel schräg durch die Oberlichter. Er kniff die Augen zusammen, musterte die vorbeigehenden Frauen, bis sie schließlich rief:
»Hierher, Vetter. Erkennst du mich nicht? Ich bin die Unwiderstehliche.«
»Lina, bist du's?«
»Ich bin nicht mehr im Dorf.«
In den fünf Jahren, seit sie die Türkei verlassen hatte, war es Sourmelina gelungen, so gut wie alles offensichtlich Griechische an sich auszulöschen, von den Haaren, die sie, mit einem kräftigen Kastanienbraun gefärbt, nun als ondulierten Bubikopf trug, über ihren Akzent, der weit genug nach Westen gewandert war, um entfernt »europäisch« zu klingen, bis hin zu ihrem Lesestoff (Collier's, Harper's), ihren Lieblingsspeisen (Hummer Thermidor, Erdnussbutter) und ihrer Kleidung. Sie steckte in einem kurzen grünen Charleston-Kleid, das am Saum gefranst war. Ihre Schuhe waren aus passendem grünem Satin mit paillettierten Kappen und feinen Knöchelriemchen. Um ihre Schultern schlang sich eine schwarze Federboa, und auf ihrem Kopf saß ein Glockenhut, von dem Onyx-Anhänger über gezupfte Augenbrauen baumelten.
Einige Sekunden brachte sie Lefty in den Genuss ihrer schmissigen, amerikanischen Pose, aber im Innern (unter der Glocke) war es noch immer Lina, und bald sprudelte auch ihre griechische Begeisterung hervor. Sie breitete die Arme aus.
»Vetter, gib mir einen Begrüßungskuss.«
Sie umarmten einander. Lina drückte ihm eine gepuderte Wange an den Hals. Dann stieß sie sich von ihm ab, um ihn zu mustern, und wölbte, berstend vor Lachen, ihre Hand über seine Nase. »Ganz der alte. Diesen Zinken hätte ich überall erkannt.« Ihr Lachen verklang unter auf und ab wippenden Schultern, dann war sie schon beim nächsten Thema. »Und wo ist sie nun? Wo ist deine Braut? In deinem Telegramm hat nicht mal ihr Name gestanden. Na? Versteckt sie sich?«
»Sie... sie ist auf der Toilette.«
»Muss ja eine Schönheit sein. Hast ziemlich schnell geheiratet. Was hast du als Erstes getan, dich vorgestellt oder ihr einen Antrag gemacht?«
»Ich glaube, den Antrag.«
»Wie sieht sie denn aus?«
»Sie sieht... wie du aus.«»Ach, Darling, bestimmt ist sie nicht ganz so hübsch «
Sourmelina führte ihre Zigarettenspitze an den Mund, inhalierte und ließ dabei den Blick über die Menge schweifen.
»Die arme Desdemona! Ihr Bruder verliebt sich und lässt sie in New York zurück. Wie geht's ihr?«
»Gut.«
»Warum ist sie nicht mitgekommen? Sie ist doch nicht etwa eifersüchtig auf deine neue Frau, oder?«
»Nein, nichts dergleichen.«
Sie fasste ihn am Arm. »Wir haben über den Brand gelesen. Schrecklich! Ich habe mir solche Sorgen gemacht, bis dann dein Brief kam. Die Türken haben ihn gelegt. Das weiß ich. Natürlich ist mein Mann da anderer Meinung.«
»Ach ja?«
»Kleiner Tipp, da ihr ja bei uns wohnt: Red mit meinem Mann nicht über Politik.«
»Ja.«
»Und das Dorf?«, erkundigte sich Sourmelina.
»Alle haben das horeo verlassen, Lina. Da ist jetzt nichts mehr.«
»Wenn ich das Kaff nicht so hassen würde, würde ich jetzt vielleicht zwei Tränen vergießen.«
»Lina, ich muss dir etwas erklären...«
Doch Sourmelina sah woanders hin, tippte mit dem Fuß.
»Vielleicht ist sie ja hineingefallen.«
»... etwas über Desdemona und mich...«
»Ja?«
»... meine Frau... Desdemona...«
»Hatte ich doch Recht? Sie verstehen sich nicht?«
»Nein... Desdemona... meine Frau...«
»Ja?«
»Dieselbe Person.« Er gab das Zeichen. Desdemona trat hinter der Säule hervor.
»Hallo, Lina«, sagte meine Großmutter. »Wir sind verheiratet. Aber sag's keinem.«
Und so kam es heraus, zum
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