Middlesex
vorletzten Mal. Herausgesprudelt aus meiner jiajia, unter dem hallenden Dach der Grand Trunk, in Sourmelinas glockenhutbedeckte Ohren. Das Geständnis schwebte eine Weile in der Luft, bis es mit dem Zigarettenrauch davontrieb. Desdemona ergriff den Arm ihres Mannes.
Meine Großeltern hatten allen Grund zu glauben, dass Sourmelina ihr Geheimnis bewahren würde. Auch sie war mit einem Geheimnis nach Amerika gekommen, einem Geheimnis, das unsere Familie hütete, bis Sourmelina 1979 starb, woraufhin man es, wie alle Geheimnisse, postum freigab, sodass nach und nach von »Sourmelinas Freundinnen« die Rede war. Ein Geheimnis also, das nur sehr großzügig gewahrt wurde, weshalb mich heute - wo ich mich bereitmache, es durchsickern zu lassen - bloß leise Schuldgefühle plagen.
Sourmelinas Geheimnis (in Tante Zos Worten): »Lina war eine von den Frauen, nach denen sie die Insel benannt haben.« Als Mädchen im horeo war Sourmelina mit ein paar Freundinnen in kompromittierenden Situationen erwischt worden. »Nicht viele«, sagte sie mir Jahre später, »zwei oder drei. Die Leute glauben, wenn man Mädchen mag, mag man sie alle. Ich war immer wählerisch. Und eine große Auswahl gab es nicht.« Eine Zeit lang hatte sie gegen ihre Veranlagung angekämpft. »Ich bin in die Kirche gegangen. Es hat nicht geholfen. Damals war das der beste Ort, wo man sich mit der Freundin treffen konnte. In der Kirche! Alle beteten wir darum, anders zu sein.« Als Sourmelina nicht mit einem anderen Mädchen, sondern mit einer ausgewachsenen Frau erwischt wurde, einer Mutter zweier Kinder, war das ein Skandal. Sourmelinas Eltern versuchten, eine Ehe für sie zu arrangieren, fanden aber keinen Interessenten. Auch ohne die zusätzliche Bürde einer gleichgültigen, mit einem Makel behafteten Braut waren Ehemänner in Bithynios schwer genug aufzutreiben.
Daraufhin hatte ihr Vater das getan, was griechische Väter nicht zu verheiratender Mädchen damals taten: Er schrieb nach Amerika. In den Vereinigten Staaten wimmelte es von Dollarscheinen, Baseballschlägern, Waschbärmänteln, Diamantenschmuck - und einsamen eingewanderten Jungge sellen. Mit einer Fotografie der zukünftigen Braut und einer beträchtlichen Mitgift hatte ihr Vater einen aufgetan.
Jimmy Zizmo (kurz für Zisimopoulos) war 1907 im Alter von dreißig Jahren nach Amerika gekommen. Die Familie wusste kaum etwas über ihn, nur dass er zäh verhandelte. In einer Reihe von Briefen an Sourmelinas Vater hatte er die Höhe der Mitgift in einer förmlichen Anwaltssprache ausgehandelt und war sogar so weit gegangen, noch vor dem Hochzeitstag einen Scheck zu verlangen. Die Fotografie, die Sourmelina zugeschickt bekam, zeigte einen großen, gut aussehenden Mann mit einem männlichen Schnauzbart, der in der einen Hand eine Pistole und in der anderen eine Flasche Schnaps hielt. Als sie zwei Monate später in der Grand Trunk jedoch aus dem Zug stieg, war der kleine Mann, der sie begrüßte, glatt rasiert, guckte verdrießlich und hatte die dunkle Gesichtsfarbe eines Arbeiters. Eine normale Braut wäre von einer solchen Diskrepanz enttäuscht gewesen, doch Sourmelina war alles gleich.
Sourmelina hatte von ihrem neuen Leben in Amerika oft geschrieben, vor allem von der Mode oder ihrem Aeriola Jr., dem Radio, vor dem sie täglich Stunden saß, mit Kopfhörern und am Senderknopf drehend, was sie immer wieder unterbrach, um den Kohlenstaub abzuwischen, der sich auf dem Kristall angesammelt hatte. Niemals hatte sie etwas erwähnt, was mit dem, das Desdemona als »das Bett« bezeichnete, zu tun hatte, und daher waren Cousin und Cousine gezwungen gewesen, zwischen den Zeilen dieser Aerogramme zu lesen, an einer Beschreibung einer Sonntagsausfahrt auf Belle Isle zu erkennen, ob das Gesicht des Gatten am Steuer glücklich oder unzufrieden war, oder aus einem Absatz über Sourmelinas neueste Frisur - bekannt als »Lausgarage« - zu erschließen, ob Zizmo je gestattet war, sie zu zerwuscheln.
Diese nämliche Sourmelina, die voller eigener Geheimnisse war, betrachtete ihre neuen Mitverschwörer nun. »Verheiratet? Ihr meint, miteinander-schlafen-verheiratet?«
Lefty bewerkstelligte ein Ja.
Zum ersten Mal bemerkte Sourmelina ihre Asche und schnippte sie weg. »Typisch ich. Kaum verlasse ich das Dorf, wird's interessant.«
Doch Desdemona konnte mit dieser Ironie nichts anfangen. Sie packte Sourmelina an den Händen und flehte sie an: »Du musst mir versprechen, es niemals zu erzählen. Wir leben, wir
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