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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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mir, es ist ein Mädchen.«
    »Du willst doch wohl kein Mädchen. Mädchen bedeuten zu viel Ärger. Du musst dir Sorgen um sie machen, wenn sie mit Jungen ausgehen. Du brauchst eine Mitgift und musst einen Ehemann finden...«
    »In Amerika gibt's keine Mitgift, Desdemona.« Der Löffel begann sich zu bewegen.
    »Wenn es ein Junge wird, bringe ich dich um.«
    »Mit einer Tochter hast du immer Streit.«
    »Mit einer Tochter kann ich reden.«
    »Einen Sohn wirst du lieben.« Der Löffel schwang weiter aus.
    »Es ist... es ist...«
    »Was?«
    »Fang schon mal an zu sparen.«
    »Ja?«
    »Verriegle die Fenster.«
    »Ja? Wirklich?«
    »Bereite dich auf Streitereien vor.«
    »Du meinst, es ist ein...«
    »Ja. Ein Mädchen. Eindeutig.«
    »Ach, Gott sei Dank.«
    ... Und eine Kammer wird leer geräumt. Und die Wände werden weiß gestrichen, damit ein Kinderzimmer daraus wird. Von Hudson's werden zwei identische Bettchen angeliefert. Meine Großmutter stellt sie im Kinderzimmer auf, hängt für den Fall, dass ihr Kind ein Junge wird, eine Decke dazwischen. Im Flur bleibt sie vor dem Nachtlicht stehen, um zur Allheiligen zu beten: »Bitte lass nicht zu, dass mein Baby so ein Hämophiler wird. Lefty und ich haben nicht gewusst, was wir taten. Bitte, ich schwöre, ich will nie mehr ein Baby haben. Nur dieses eine.«
    Dreiunddreißig Wochen. Vierunddreißig. Im uterinen Schwimm becken vollführen Babys Auerbachsalti, drehen sich kopfüber. Aber am Ende gingen Sourmelina und Desdemona, in ihren Schwangerschaften so synchron, doch noch verschiedene Wege. Am 17. Dezember nahm Sourmelina - sie hörte gerade ein Hörspiel - den Kopfhörer ab und verkündete, sie habe Wehen. Drei Stunden später entband Dr. Philobosian sie von einem Mädchen, wie Desdemona es vorausgesagt hatte. Das Baby wog nur 1890 Gramm und musste eine Woche im Brutkasten liegen. »Siehst du?«, sagte Lina zu Desdemona, während sie das Baby durch die Scheibe betrachtete. »Dr. Phil hatte Unrecht. Sieh doch. Sie hat schwarze Haare. Nicht rote.«
    Als Nächstes trat Jimmy Zizmo an den Brutkasten. Er nahm den Hut ab, ging ganz nahe heran und spähte hinein. Und zuckte er zusammen? Bestätigte die blasse Hautfarbe des Babys seine Zweifel? Oder lieferte sie Antworten? Darauf, warum eine Ehefrau immerzu über Leiden und Schmerzen geklagt haben könnte? Oder warum sie just zum rechten Zeitpunkt zu heilen gewesen war - um seine Vaterschaft zu belegen? (Welche Zweifel er auch hatte, das Kind stammte von ihm. Sourmelinas Gesichtsfarbe hatte der seinen nur die Schau gestohlen. Die Vererbung, ein Glücksspiel, absolut.)
    Ich weiß nur eines: Unmittelbar nachdem Zizmo seine Tochter gesehen hatte, fasste er den endgültigen Plan. Eine Woche später sagte er zu Lefty: »Mach dich fertig. Wir haben heute Nacht zu tun.«
    Und nun sind die Herrenhäuser am See mit Weihnachtslichtern erleuchtet. Der große schneebedeckte Rasen von Rose Terrace, dem Sitz der Familie Dodge, prunkt mit einem vierzehn Meter hohen Weihnachtsbaum, der per Lastwagen von der Upper Peninsula angeliefert worden ist. Elfen sausen in winzigen Dodge-Limousinen um die Fichte herum. Der Weihnachtsmann wird von einem Rentier mit Mütze chauffiert. (Rudolph gab es da noch nicht, daher hat das Rentier eine schwarze Nase.) Vor den Toren der Villa fährt ein schwarz brauner Packard vorbei. Der Fahrer blickt geradeaus. Der Beifahrer schaut auf das gewaltige Haus.
    Wegen der Ketten auf den Reifen fährt Jimmy Zizmo langsam. Sie sind über die E. Jefferson Avenue gekommen, vorbei am Electric Park und der Belle Isle Bridge. Auf der Jefferson haben sie die East Side von Detroit durchquert. (Und schon sind wir da, in meinem Viertel: Grosse Pointe. Da ist das Haus der Starks, wo Clementine Stark und ich im Sommer vor der dritten Klasse küssen »üben« werden. Und da ist auch die Baker & Inglis School for Girls, auf einem Hügel oberhalb des Sees.) Meinem Großvater ist wohl bewusst, dass Jimmy Zizmo nicht nach Grosse Pointe gefahren ist, um die herrschaftlichen Häuser zu bewundern. Angespannt wartet er ab, was Zizmo vorhat. Nicht weit von Rose Terrace entfernt tut sich das Seeufer auf, schwarz, kahl und zugefroren. Nahe am Ufer türmt sich das Eis in dicken Brocken. Zizmo folgt dem Küstenstreifen, bis er an eine Stelle abseits der Straße gelangt, wo im Sommer die Boote zu Wasser gelassen werden. Dort biegt er ab und hält.
    »Es geht übers Eis?«, fragt mein Großvater.
    »Im Moment der einfachste Weg nach

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