Middlesex
Lefty?«
Diese Frage lässt Desdemona zurückprallen. Sie ist sprachlos. Sie denkt vieles auf einmal, zuallererst, wie kann Fard den Namen ihres Mannes kennen, hat sie ihn Schwester Wanda gesagt?... und zweitens, wenn es wahr ist, dass er alles weiß, dann muss doch auch alles andere wahr sein, das mit den blauäugigen Teufeln und dem bösen Wissenschaftler und dem Mutterflugzeug aus Japan, das kommen wird, um die Welt zu zerstören und die Muslime fortzubringen. Furcht ergreift sie, und gleichzeitig erinnert sie sich an etwas, fragt sich, wo sie diese Stimme schon einmal gehört hat...
Nun tritt Fard Muhammad hinter dem Podium hervor. Er überquert die Bühne und steigt die Stufen hinab. Er kommt auf Desdemona zu, seine Allwissenheit weiterhin zur Schau stellend.
»Hat er noch seine Schummerkneipe? Diese Tage sind gezählt. Lefty sollte sich lieber etwas anderes suchen.« Den Filzhut ein wenig schräg auf dem Kopf, den Anzug säuberlich geknöpft, das Gesicht im Schatten, nähert sich der Mahdi ihr. Sie will fliehen, kann aber nicht. »Und wie geht's den Kindern?«, fragt Fard. »Milton müsste doch jetzt, was, acht sein?«
Er ist nur noch drei Meter entfernt. Desdemonas Herz pocht wie verrückt, als Fard Muhammad den Hut abnimmt und so sein Gesicht zeigt. Und der Prophet lächelt.
Sicher haben Sie's inzwischen schon erraten. Genau: Jimmy Zizmo.
»Mana!«
»Hallo, Desdemona.«
»Du!«
»Wer sonst?«
Sie starrt ihn mit großen Augen an. »Wir dachten, du bist gestorben, Jimmy! Im Auto. Im See.«
»Jimmy schon.«
»Aber du bist doch Jimmy.« Kaum hat sie das gesagt, wird Desdemona sich dessen Bedeutung bewusst und fängt an zu schimpfen. »Warum verlässt du Frau und Kinder? Was ist los mit dir?«
»Ich bin ausschließlich meinem Volk verantwortlich.«
»Welchem Volk? Den mavros?«
»Dem Ursprünglichen Volk.« Sie weiß nicht, ob er das ernst meint oder nicht.
»Warum magst du die Weißen nicht? Warum nennst du sie Teufel?«
»Sieh dich doch um. Diese Stadt. Dieses Land. Stimmst du mir da nicht zu?«
»Überall gibt's Teufel.«
»Besonders in dem Haus in der Hurlbut Street.«
Eine Pause entsteht, dann fragt Desdemona vorsichtig: »Wie meinst du das?«
Fard oder Zizmo lächelt wieder. »Vieles, was verborgen ist, ist mir offenbart worden.«
»Was ist verborgen?«
»Meine so genannte Frau Sourmelina ist eine Frau mit, sagen wir mal, unnatürlichen Gelüsten. Und du und Lefty? Glaubst du, ihr konntet mich täuschen?«
»Bitte, Jimmy.«
»Nenn mich nicht so. Das ist nicht mein Name.«
»Wie meinst du das? Du bist mein Schwager.«
»Du kennst mich nicht!«, brüllt er. »Du hast mich nie gekannt!« Dann fasst er sich wieder: »Du hast nie gewusst, wer ich war oder woher ich kam.« Mit diesen Worten geht der Mahdi an meiner Großmutter vorbei, durch den Saal, durch die Doppeltür und aus unserem Leben.
Diesen letzten Teil sah Desdemona nicht. Aber er ist gut dokumentiert. Zunächst schüttelte Fard Muhammad der Fruit of Islam die Hand. Die jungen Männer kämpften mit den Tränen, als er ihnen Lebewohl sagte. Dann schritt er durch die Menge vor dem Tempel Nr. 1 zu seinem Chrysler-Coupe, das am Straßenrand bereitstand. Er stellte sich aufs Trittbrett. Später beharrte jeder Einzelne darauf, dass der Mahdi ihn die ganze Zeit angesehen habe. Frauen weinten nun offen, flehten ihn an, nicht zu gehen. Fard Muhammad nahm seinen Hut ab und drückte ihn an die Brust. Er blickte freundlich auf sie herab und sagte: »Macht euch keine Sorgen. Ich bin bei euch.« Er hob den Hut mit einer Gebärde, die das gesamte Viertel einschloss, das Ghetto mit seinen Slumveranden, den ungepflasterten Straßen, der trostlosen Wäsche. »Ich werde in der nahen Zukunft wieder bei euch sein, um euch aus dieser Hölle herauszuführen.« Dann stieg Fard in den Chrysler, drehte die Zündung und ratterte mit einem letzten beruhigenden Lächeln davon.
Fard Muhammad wurde in Detroit nie wieder gesehen. Er verschwand in der Versenkung wie der Zwölfte Imam der Schiiten. Einem Bericht zufolge fuhr er 1934 auf einem Ozeandampfer Richtung London. Die Chicagoer Zeitungen von 1959 meinten, W. D. Fard sei ein »türkischstämmiger Nazi- Agent« gewesen, der im Zweiten Weltkrieg für Hitler gearbeitet habe. Laut einer Verschwörungstheorie waren die Polizei oder das FBI in seinen Tod verwickelt. Alles reine Vermutungen. Fard Muhammad, mein Großvater mütterlicherseits, kehrte in das Nirgendwo zurück, aus dem er gekommen war.
Was
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